Hahns Lehre in ihren Grundzügen                                                     zurück

Durch die zentrale Erleuchtung erhielt M. Hahn erstaunliche Aufschlüsse über das Wesen Gottes, über die Offenbarung der göttlichen Herrlichkeit in der Kreatur, über den Verlust der Herrlichkeit sowie über die Wiedererlangung derselben.

Seine Darlegungen über die ursprüngliche und urbildliche Herrlichkeit Gottes wie auch über die gesetzliche und ebenbildliche Herrlichkeit bewegen sich oft in ziemlich dunklen Ausdrücken und können nur von wenigen richtig erfaßt und aufgenommen werden.

Was die Schöpfungsgeschichte betrifft, so nimmt M. Hahn mit vielen anderen an, daß in 1. Mose 1, 1 auf die Urschöpfung hingedeutet und dann vom 2. Vers an eine durch den Fall Luzifers und seiner Genossen nötig gewordenen Erneuerung der Erde, gleichsam eine zweite, neue Schöpfung geschildert sei. Er ist auch geneigt, unter den sogenannten sechs Schöpfungstagen sehr große, Jahrtausende umfassende Zeiträume zu verstehen.

Des weiteren ist im System seiner Lehre ein Dreifaches zu unterscheiden:

a) der Urzustand des Menschen,

b) seinen Fall und

c) seine Wiederherstellung durch Christus samt den "letzten Dingen".

a) der Zustand des Menschen vor dem Fall

Darüber spricht sich Hahn in seinen Schriften öfters aus, so z.B. in seiner Betrachtung über 1. Mose 1, 26 und Joh 1, 4, in einem Brief über 1. Mose 1 und 3, ferner in dem Lied: "der Mensch bestimmt zum Gottestempel..." oder in dem anderen: "wie Adam etwa vor dem Fall..." - Adam war die Krone der Schöpfung.

Er sollte der wahre Ruhetempel und Offenbarungsthron der anbetungswürdigen Gottheit sein. Auf Grund der Heiligen Schrift glaubte Hahn annehmen zu müssen, daß in den ersten, nach Gottes Bild geschaffenen Menschen die zwei Geschlechter ungeschieden vereinigt gewesen seien, daß derselbe überhaupt eine den ganzen paradiesischen Zustand entsprechende höhere und reinere Leiblichkeit gehabt habe, aus welcher die dem ersten Menschen innewohnende göttliche Herrlichkeit in voller Klarheit und ungetrübter Schönheit herausleuchtete. Der Leib Adams hätte demnach eine ähnliche Beschaffenheit gehabt, wie sie nach der Lehre des Neuen Testaments der Lichtleib der auferstandenen Seligen haben wird (Lk 20, 35.36; Mt 13, 43; 1. Kor 14, 42-49; Phil 3, 21). Hahn stützt seine Ansicht vor allem auf die Stellen 1. Mose 1, 31: "Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe da, es war sehr gut"; 2, 7 ff: "Und Gott der Herr machte den Menschen aus einem Erdenkloß..." und auf die mit der erstgenannten scheinbar in Widerspruch stehenden Stelle 2, 18 ff: "und Gott der Herr sprach: es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei...". Er macht insbesondere auf den höchst beachtenswerten, übrigens auch schon von anderen Schriftforschern hervorgehoben Umstand aufmerksam, daß die Erzählung von der Namengebung der Tiere aufs engste mit dem Bericht von der Erschaffung des Weibes verknüpft ist (2, 18-25). Um uns jedoch Hahns Ansicht über das, was hier in Betracht kommt, sehr klar machen zu können, müssen wir sofort auch auf den zweiten Punkt näher eingehen.

b) der Sündenfall und seine Folgen

Von vornherein stand ihm so viel fest, daß ein mit Willensfreiheit begabtes Geschöpf notwendig durch die bewährende Versuchung hindurchgehen muß, wenn seine Willensfreiheit nicht eine bloß scheinbare, sondern eine wahrhafte und wirkliche sein soll. Es mußte daher dem Menschen die Möglichkeit, versucht zu werden und zu fallen, anerschaffen sein, womit jedoch nicht gesagt sein soll, daß er habe sündigen müssen, so wie auch die Möglichkeit zu sterben für ihn vorhanden war, ohne daß dieselbe unter allen Umständen hätte zur Wirklichkeit werden müssen. Die Versuchung sollte in jedem nur (was zu allen Zeiten das Hochbedeutsame einer jeden Versuchung ist) Anlaß geben, von der ihm anerschaffenen Wahlfreiheit Gebrauch zu machen, das sich ihm nahende Böse mannhaft zu überwinden, mit einem freien, kräftigen Willensentschluß auf die Seite Gottes, somit auf die Seite des Lichts zu treten und sich auf ewig für ihn als seinen einzig rechtmäßigen Herrn zu entscheiden. Von diesem festen Ansatzpunkt aus hätte er sodann in zarter Liebe sich immer inniger mit seinem Gott verbinden sollen, womit er aus dem Stande der Unschuld, in welchem er im Guten noch unbefestigt war und ebenso sündigen als nicht sündigen konnte, auf eine höhere Stufe sich erhoben hätte, im Guten fixiert und demgemäß in den Stand gesetzt worden wäre, fortan in wahrer Heiligkeit seinem Gott unverrückt anzuhangen. Auf diesem Weg hätte er sich von einem bloßen Geschöpf Gottes zu einem freien Kind Gottes fortentwickelt. (von Gott geboren sein, ein Kind Gottes sein, will ja doch gewiß weit mehr besagen, als von Gott erschaffen sein und infolgedessen in einem gewissen notwendigen Naturzusammenhang mit ihm stehen.) Die himmlische Weisheit hätte sich solcherweise unauflöslich und für immer mit dem Menschen vereinigt oder vermählt, auch seine irdische Natur, seine Leiblichkeit, wäre in die Gemeinschaft der göttlichen Natur aufgenommen worden, kurz, der Besitz des Kindes Gottes wäre ihm nach wohl bestandener Probe bestätigt worden, derselbe wäre ihm als ein hinfort unverlierbares Gut und Kleinod zuteil geworden, dessen er sich in alle Ewigkeit zu erfreuen gehabt hätte. Von nun an hätte er nicht mehr sündigen und so auch nicht mehr sterben können, und zugleich hätte er als der von Gott selbst eingesetzte rechtmäßige Herr und König der Kreatur, als Friedefürst, diese stufenweise zu immer größerer Herrlichkeit geführt (1. Mose 1, 28; 2, 15), indem Licht und Heil, Segen und Leben, Friede und Freude von ihm aus fort und fort über seine ganze Umgebung sich verbreitet hätte und so ein ewiger Sabbat und ein unvergängliches Friedenskönigreich auf Erden begründet worden wäre.

Ebendahin kommt es ja auch nach der Lehre des Neuen Testaments schließlich bei denjenigen, welche in der Kraft Gottes und Jesu Christi in allen Versuchungen und Proben, die sie zu bestehen haben, freudig ausharren und standhalten, einen guten Kampf kämpfen und als Überwinder von hinnen scheiden, um dereinst als Priesterkönige auf der erneuerten Erde mit Christo von Ewigkeit zu Ewigkeit zu regieren. So lesen wir Off 3, 11: "Halte, was Du hast" (so wie Adam den ihm anvertrauten köstlichen Besitz hätte festhalten sollen), "daß niemand deine Krone nehme". So ist auch von dem, der aus Gott geboren ist, ausdrücklich gesagt, daß er nicht sündigen kann (1. Joh 3, 9), so wie ein guter Baum nicht arge Früchte bringen kann (Mt 7, 18); Und ebenso heißt es von denen, welche als "Gottes Kinder und Kinder der Auferstehung" würdig erfunden werden, jene Welt zu verlangen: "sie können hinfort nicht sterben" (Lk 20, 36). Wenn nach diesen klaren Aussprüchen der Heiligen Schrift ein aus Gott geborener Mensch nicht sündigen und, wenn er den Stand der Vollendung erreicht hat, auch nicht mehr sterben kann, so sind wir offenbar zu der Annahme genötigt, daß ein solcher Mensch auf einer höheren Stufe steht als derjenige war, auf welcher der erste Mensch im Urzustand sich befand (der noch ebenso sündigen als sterben konnte), daß somit der letztere, wenn er auch nach seiner natürlichen Art und Beschaffenheit als Geschöpf Gottes ohne Sünde und insofern (qualitativ) vollkommen und untadelig war, doch dem Grade nach durchaus auch nicht den höchsten Stand der Vollkommenheit erreicht hatte. Der Zustand der vollendeten Gerechten, der Überwinder, unterscheidet sich von dem Zustand des Menschen vor dem Fall ebenso wie der unter Kampf und Not zu einem richtigen Mann herangereifte Mensch von dem noch unvollkommenen, aber auch noch unbefestigten Kind oder von einem noch in kindlicher Unschuld dahinlebenden Jüngling. Darum wird auch der ganze Fall, wie Hahn einmal sagt, Gott noch tausendfältig Ehre machen. Er muß zuletzt nur Ursache werden, daß Gottes Allmacht, Weisheit und Liebe noch herrlicher zutage trete, als dies ohne den Fall möglich gewesen wäre. Sollte aber der erste Mensch versucht werden können, so mußte für die Versuchung ein Anknüpfungspunkt, es mußte sozusagen ein Stoff vorhanden sein, welcher ihr eine gewisse Handhabe darbot. Und diesen Stoff können wir nur in der sinnlichen Natur des Menschen zu suchen haben, welche zwar vor dem Fall an sich rein und unschuldig war, durch welche er aber doch mit der ihn umgebenden Sinnenwelt so nahe verwandt war, daß diese (und zugleich das an sie angrenzende Reich der Finsternis) sofort einen ungehörigen Einfluß auf sein Inneres ausüben konnte, sobald er sich mit seiner Lust und seinem Begehren nur im geringsten von seinen Ursprung, von Gott hinweg- und irgendeinem Gegenstand der irdischen Welt zukehrte. Der Mensch war nämlich ursprünglich ein kleines Ganzes oder eine kleine Welt, zu deren Hervorbringung sämtliche Bestandteile der großen Welt ihr Kontingent gestellt hatten. Wir haben uns die menschliche Natur gleichsam als einen Extrakt aus drei verschiedenen Welten zu denken, welche bei der Erschaffung Adams bereits vorhanden waren. Es ist dies die höhere, himmlische Welt, die Lichtwelt, mit welcher der Mensch vermöge seines geistigen Wesens verwandt war, ferner die irdische und endlich die höllische Welt. Den verschiedenartigen Einwirkungen dieser drei Welten war die Menschenseele von jeher ausgesetzt. Daß der Mensch auch von der erstgenannten, von der höllischen oder finsteren Welt etwas in sich trug - das übrigens an sich, so lange sich sein Wille nicht damit geeinigt hatte, nicht böse zu nennen war, sondern nur durch unordentliches, einseitiges Sichgeltendmachen und Sicherheben, durch eine Art Inflammation oder Entzündung mit der Zeit böse werden konnte -, das war eben deswegen notwendig, weil er sonst von diesem Reich aus nicht wirklich hätte versucht werden, folglich dasselbe auch nicht wahrhaft hätte überwinden können. Dieser dunkle Hintergrund des menschlichen Wesens war ursprünglich so ganz der geistigen Natur, der göttlichen Lichtnatur im Menschen untergeordnet, daß er gar nicht offenbar war. Er war nur eben das, was an einem Spiegel die finstere Belegung ist, welche, die Rückseite des Spiegels bildend, gar nicht zutage tritt, solange dieser ganz und unversehrt ist, ohne welche er aber gleichwohl seinem Zweck nicht entsprechen würde; aber er war das, was bei einer Kerze der Docht ist (Lichtträger). So war der mit dem Stempel des Gottesbildes versehene Mensch ein überaus schönes, harmonisches Ganzes, ohne daß irgendein Widerstreit zwischen seiner höheren und seiner niederen Natur bestanden hätte. "Alles am Menschen ist in der schönsten Harmonie gewesen. Er ist zwar auch aus der finsteren Welt geschaffen, aber nur insofern es gut und nötig war, damit er ein Bild der ganzen Offenbarung Gottes oder das Schöpfungsbuch im kleinen sei. Die Finsternis, als der Docht, mittelst dessen sich das Licht offenbaren sollte, war nur mäßig und war unter die Herrschaft des Lichts geordnet. Demnach herrschte das Licht in ihm. Wären nicht die Geburtsquellen aller drei Welten, wäre insbesondere gar nichts von der Finsternis in ihm gewesen, so wäre er nicht Mensch sondern Engel gewesen. Und wenn er nicht gerade das Verhältnis der Finsternis, sowohl in der Qualität als Quantität, gehabt hätte, das er gehabt hat (wenn ihn nicht eine gewisse Art und ein gewisses Maß von Finsternis anerschaffen gewesen wäre, welche jedoch in ganz richtigem Verhältnis zu seiner höheren Natur stand), so hätte er gar nicht versucht werden können. Hätte er weniger gehabt, so wäre er nicht wirklich versuchlich gewesen, folglich wäre er nur zum Schein versucht worden. Dagegen hätte Satan protestiert. Wenn aber der Mensch mehr Finsternis gehabt hätte als er hatte, so wäre es eine unbillige Forderung Gottes gewesen, wenn er hätte bestehen sollen, gerade wie wenn Gott uns über Vermögen versucht werden ließe. Es ist also nötig, glauben zu lernen, daß er versucht werden sollte und mußte, daß er aber den Kampf wohl hätte bestehen können. In uns armen Menschen ist es freilich nun ganz anders, als es in dem ersten Menschen war. Wir sind mehr zum Bösen und zur Finsternis geneigt als zum Guten und zum Licht ..."

Nun lesen wir in der vorhin angeführten Stelle 1.Mose 2, 19:

"Als Gott der Herr gemacht hatte von der Erde allerlei Tiere auf dem Felde und allerlei Vögel unter dem Himmel, brachte er sie zu den Menschen, daß er sehe, wie er sie nennte; denn wie der Mensch allerlei lebendige Tiere nennen würde, so sollten sie heißen." Wenn hiermit ganz bestimmt gerade darauf hingewiesen ist, das Gott dem Menschen als dem Herrn und König der ganzen Schöpfung eine gewisse Freiheit einräumte, indem er ihm Gelegenheit geben wollte, sich in Gebrauch seines Willens sowie seines Denk- und Erkenntnisvermögen und im Zusammenhang damit auch seines Sprachvermögens an einem sinnlichen Gegenstand, nämlich an der ihn unterworfenen Tierwelt, zu üben und zugleich seine Herrschaft über dieselbe zu betätigen und zu befestigen, so wird sich (nach dem, was oben über das Eigentümliche einer jeden Versuchung bemerkt worden ist) jedem aufmerksamen Leser des Bibeltextes leicht der Gedanke naheliegen, daß Adam schon hier nach Gottes Ordnung eine erste Versuchung, eine Probe zu bestehen hatte, welche er insofern nicht zum besten bestand, als durch den Anblick der Tiere seine Imagination, seine Einbildungskraft, mehr als es in der Absicht Gottes lag, die Richtung nach unten nahm, daß die Aufmerksamkeit und das Interesse des Menschen, mehr als gut und nötig war, sich von Gott hinweg und auf die ihn umgebenden Sinnenwelt, insbesondere eben auf die Tierwelt und ihr Treiben hinlenkte. "und der Mensch gab einem jeglichen Vieh und Vogel unter dem Himmel und Tier auf dem Felde seinen Namen; aber für den Menschen ward keine Gehilfin gefunden, die um ihn wäre" (Vers 20). Adam fühlte sich allein.

In diesem Blick erscheint auch M. Hahn in dem Bericht von der Versuchung, welche Christus als der zweite Adam zu bestehen hatte, der Beisatz "er war bei den Tieren" sehr bedeutsam. (Mk 1, 13) - übrigens hatte der Herr bei diesem Anlaß auch zugleich diejenigen Versuchungen in konzentrierter Weise zu bestehen, welche der erste Mensch nach 1. Mose 3 zu bestehen hatte. Was die nächsten Folgen dieser ersten Abweichung von der geraden Bahn betrifft, so ist zu bedenken, daß die Seele und der ihr zur Wohnung angewiesene Leib des ersten Menschen, eben weil dieser auch nach einer Seite ihn, weder im Guten noch im Bösen, fixiert war, in ähnlicher Weise wie der leibliche und seelische Organismus eines Kindes, einem weichen bildsamen Tone gleich, sehr leicht die verschiedensten Eindrücke in sich aufnehmen, eben darum aber auch - je nachdem das Begehren mit besonderer Stärke sich auf einen bestimmten Punkt hinlenkte - so oder anders gebildet oder auch verbildet werden konnte. Erwägt man dies, so wird man es nicht mehr für unmöglich halten, daß bereits bei dem bisher besprochenen Anlaß eine wenn auch zunächst nur leise Veränderung in der Natur des Menschen sich anbahnte. Nur so läßt sich nach M. Hahn und anderen Schriftforschern jener eigentümliche "tiefe Schlaf" erklären, den Gott der Herr auf den Menschen fallen ließ und in welchem das Weib gebildet ward. Dadurch daß sich der Mensch mit seiner Lust zu viel in die Sinnenwelt gesenkt und von Gott, dem Urquell alles Lebens, zu weit entfernt hatte, war seine ganze Natur, sein Leib und seine Seele, bereits einigermaßen entkräftet, gleichsam ohnmächtig geworden, und infolgedessen war der Schlaf, in welchem seine Imagination das Bild vollendet haben mag, das sie zuvor schon - beim Anblick der Tierwelt - in sich aufgenommen hatte, zu einer Art Naturnotwendigkeit für ihn geworden. Wer über die mancherlei eigentümlichen und zum Teil wunderbaren Erscheinungen, welche das menschliche Schlaf- und Traumleben darbietet, schon geistlich nachgedacht oder sich durch die Schriften Erfahrener über dieselben des nähern hat belehren lassen, dem werden sich bei diesem Anlaß verschiedene bedeutsame, hier nicht weiter zu entwickelnde Gedanken aufdrängen. Und die Schlafsucht, von welcher manche Personen bei Wahrheitsvorträgen befallen werden, ist in der Regel ein bedenkliches Anzeichen von der Übermacht, welche die seelische Natur über den Geist und das Geistesleben gewonnen hat.

Übereinstimmend mit allem obigen schreibt M. Hahn ein andermal: "Adam bestand, wie wir alle, aus Leib, Seele und Geist; nur hatte er keinen solchen Leib, wie wir ihn jetzt haben, sondern wie wir in der Auferstehung einen haben werden... Durch das Wort ward Adam geschaffen aus allem, das zuvor schon doch das Wort geschaffen war; das Herz, das Beste, das Edelste, das Mark von allem war Adam... Aller Geschöpfe Leben und Bestandwesen war im ewigen Wort; aber es war keines unter ihnen allen das Bild Gottes; es war kein König vorhanden. Da sprach Gott: laßt uns ein Bild machen, das uns gleich sei, das über alle herrsche und in alle wirke... Nur sollte Adam (nach der Absicht Gottes) nicht wie Gott sich selbst suchen wollen in den Kreaturen."

Während nämlich Gott als das allerhöchste und zugleich seligste Wesen seine Herrlichkeit in allem Geschaffenen offenbaren, somit in allem nur sich selbst oder sein eigenes Bild sehen, auch in die gesamte Kreatur fort und fort seine eigene Lebens- und Seligkeitsfülle ergießen wollte, so sollte dagegen der Mensch in keiner Weise sich selbst suchen und meinen, niemals ein eigenes ich in falscher Selbständigkeit - abgelöst von seinem göttlichen Lebensgrunde - zur Geltung bringen, vielmehr sollte er sein eigenes Leben stets in Gott verlieren, um es stets neu in Gott zu finden. Er sollte ausschließlich, noch ganz anders und in weit höherem Grad als die übrigen Kreaturen, ein reines Abbild und Spiegelbild Gottes, der göttlichen Liebe und Weisheit, Kraft und Stärke, Gerechtigkeit und Heiligkeit usw., kurz der sichtbare Repräsentant und Stellvertreter Gottes auf Erden sein, somit Gott allein offenbaren und verherrlichen, wie dies der zweite Adam, Christus in vollkommener Weise getan hat, welcher von sich sagen konnte: "Ich suche nicht meine Ehre"; "der Sohn kann nichts tun, als daß er sieht den Vater tun"; "wer mich sieht, sieht den Vater"; und: "Ich habe dich verklärt auf Erden, ich habe deinen Namen offenbart den Menschen, die Du mir von der Welt gegeben hast ..." Hätte der Mensch diese seine Bestimmung erfüllt, so hätte er freilich ebenhie mit zugleich den höchsten Rang unter allen geschaffenen Wesen behauptet und sich einer ganz unvergleichlichen Seligkeit und Herrlichkeit zu erfreuen gehabt. Gott sei Lob und Dank, müssen wir schon hier ausrufen, wie auch Hahn, wenn er auf diese Punkte zu sprechen kommt, auszurufen sich gedrungen fühlt, daß wir durch Christus zum Bilde Gottes erneuert werden und so unsere überaus hohe und herrliche Bestimmung schließlich doch noch erreichen können! Weiter bemerkt Hahn: "Adam sollte nicht sich selbst in seinen erlangten Kräften beschauen und sein Gemüt mit seiner Willenslust nicht in die Kreatur wenden, denn diese kann ihn nicht mehren und stillen; er ist ja das Herz und der Extrakt von ihr. Vielmehr sollte die Kreatur durch ihn regiert, belebt, erhalten und erhöht werden; er sollte in alle Kreaturen wirken und sie alle beim Leben erhalten, so hätten er und sie nicht dürfen sterben... Die Weisheit war seine Braut. Sie ist der Glanz vom göttlichen Licht, die Herrlichkeit Gottes; sie hätte er als seinen einzigen Liebesvorwurf erkennen sollen, nur in sie hätte er seine ganze Liebeslust und seine Willensbegierde unaufhörlich einführen sollen; sie hätte er mit ihren Lichts- und Lebensmitteilungen sollen anziehen, so wäre er das Bild Gottes geblieben, ja er hätte als König der äußeren Welt in alles gewirkt." (Er wäre auch nicht allein geblieben; denn die Seele Adams war eine gottebenbildliche Geburt- und Lebensquelle. Er hätte sein Geschlecht nur in einer etwas anderen Weise, als dies jetzt geschieht, vermehrt, wofür uns gewisse Erscheinungen in der Pflanzenwelt als anschauliche, wenn auch natürlich nur sehr unvollkommene Beispiele dienen können. Diese Art der Fortpflanzung wäre auch nicht mit Schmerzen, sondern mit der höchsten Freude und Wonne für ihn verknüpft gewesen, und ohne Zweifel wären ihm Kinder geboren worden "wie der Tau aus der Morgenröte" Solche Gedanken hat Hahn in Übereinstimmung mit anderen Denkern gleichfalls mehrfach ausgesprochen.) "Nun aber ließ sich Adam von dem irdischen, von der vierelementischen Welt, über die er herrschen sollte, reizen. Er wollte eine ihm entsprechende Gehilfin; ja er zog mit dem Willen Finsternis und Eitelkeit, Kreatürlichkeit und Wesen des Todes in sich hinein, und das, was er wollte, behielt er bildlich im Gedächtnis. Da wich die himmlische Jungfrau, die göttliche Weisheit, und Adam wurde von ihr verlassen, eben weil er mit seiner Willenslust sich von ihr abgekehrt hatte. Das Bild Gottes erlosch oder verblich in ihm. Nun sprach Gott: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. (Er war vorher nicht allein, weil die göttliche Weisheit seine Braut war; aber da er sich von ihr abriß, so war er dann allein.) Da ließ denn Gott einen tiefen Schlaf auf den Menschen fallen, weil Adam mit ganzer Begierde immer das Bild wollte, das er ideal im Gemüt hatte. In diesem Schlaf war er, als ein vom Weltgeist Überwundener, in der Ohnmacht, die das Verbleichen des Bildes Gottes notwendig nach sich zog, ganz ermattet dahingesunken."

Daß in der Erzählung von der Namengebung der Tiere und von der Erschaffung des Weibes nichts ausdrücklich davon zu lesen ist, daß es sich bei jener für Adams bereits um eine Versuchungen gehandelt habe, das darf uns wohl nicht befremden oder irre machen, als ob mit dieser Annahme etwas Ungehöriges, von Menschen Erfundenes in die Heilige Schrift hineingetragen würde. Wie die ganze Redeweise der Bibel bei aller Erhabenheit und Großartigkeit durch die höchste Einfalt und Einfachheit sich ausgezeichnet, so beschränkt sich ja auch der ganze Schöpfungsbericht auf eine ganz einfache, reflexionslose Darlegung des Geschehenen. Gott gibt in seinem Wort absichtlich gar manches auch dem menschlichen Nachdenken anheim. So ist auch in der Geschichte des Sündenfalls 1.Mose 3, 1 ff durchaus nichts davon erwähnt, daß das Verbot, von dem Baum der Erkenntnis zu essen, im Sinne einer Versuchung gemeint war, und daß Gott hiermit gewisse gute und weise Absichten erreichen wollte, woran doch gewiß niemand zweifeln wird. Überhaupt hat die göttliche Weisheit für gut befunden, auch sonst im Alten Testament manche Punkte, über die wir Christen hinlänglich gelehrt sind, verdeckt und verhüllt zu lassen. Es lag z.B. in der Natur der Sache, daß die Menschheit über das Reich der Finsternis, über Satan und seine Wirksamkeit erst dann vollständige Klarheit erlangen konnte und sollte, als dieses Reich durch die Erscheinung desjenigen, der die Werke des Teufels zerstören sollte, sich veranlaßt fand, vollends alle ihm zu Gebot stehende Widerstandskraft zu entfalten und seine ganze Macht aufzubieten. Die Finsternis wird ebenfalls durch das Hervortreten des Lichts recht als das, was sie ist, offenbart. Ebenso konnte die Lehre von der Auferstehung des Leibes im Alten Testament auch nicht so deutlich und vollständig dargelegt werden, wie dies in Neuen Testament geschieht. Und so läßt des sich denn auch wohl erklären, daß über denjenigen Punkt, um welchen es sich hier vornehmlich handelt, nicht sofort volle Klarheit verbreitet werden sollte. Die Nachkommen Adams, zumal die Kinder der Zeit des Alten Bundes lebenden, welchen mit Rücksicht auf die Entwicklungs- stufe, auf der sie in natürlicher und geistiger Beziehung standen, sogar die Vielweiberei gestattet werden mußte, hätten der großen Mehrzahl nach (worauf Hahn wiederholt hinweist) Wahrheiten wie die Mt 19, 12 oder 1. Kor 7, Vers 8.32.26 ausgesprochenen nicht fassen und tragen können.

Erst in Christus ist der Menschheit ein solcher Reichtum von Gotteskräften dargeboten worden, daß der Christ bei treuer Anwendung der allen Menschen erschienenen heilsamen Gnade seine Natur nach allen Beziehungen im Zaun zu halten, zu überwinden und unter Umständen selbst auch in erlaubten Dingen sich zu verleugnen imstande ist. - Nachdem einmal das Auseinandergehen des ursprünglich einigen Menschen in eine Zweiheit oder die Erschaffung des Weibes zu einer Notwendigkeit geworden war, war vorerst alles daran gelegen, daß der Ehestand fortan als eine heilige Gottesordnung respektiert und das eheliche Leben den göttlichen Absichten gemäß geführt werde, während Satan und diejenigen Menschen, die seines Teils sind, von jeher darauf hinarbeiteten, daß diese heilsame Gottesordnung geringgeachtet, entheiligt und umgestoßen werden und an ihre Stelle eine verderbliche Unordnung, eine heillose Zerrüttung treten sollte. Übrigens handelt es sich hier augenscheinlich zum Teil um sehr zarte Punkte, und noch heute gilt der Ausspruch Christi: "Das Wort fasset nicht jedermann", und: "Wer es fassen kann, der fasse es". (Selbstverständlich ist es, daß die fraglichen Punkte weder im öffentlichen Vortrag noch im Jugendunterricht zur Sprache gebracht werden können, wie denn auch das vorliegende Büchlein für keine andern als ernstgesinnte Leser, welche sich einfach von dem Verlangen nach Wahrheitserkenntnis leiten lassen, bestimmt ist.)

So war denn mit dem Imaginieren Adams in die Tierwelt, wodurch die Erschaffung einer für ihn tauglichen Gehilfin notwendig wurde, allerdings gewissermaßen das Unglück bereits angebahnt, das bald darauf eintrat, wie denn auch Eva es war, welche "die Übertretung eingeführte" (1. Tim 2, 14). Dessenungeachtet aber stand es für Hahn fest, daß für Adam die Erschaffung des Weibes eine wirkliche Wohltat war, sofern ihm hiermit die Möglichkeit geboten war, vor noch tieferem Sinken bewahrt zu bleiben. "Er mußte eine Gehilfin haben, sollte nicht sein Fall ärger werden" (System). So weiß man ja auch, daß schon oft ein der göttlichen Ordnung gemäß geführter Brautstand und Ehestand auf jugendliche Gemüter einen wahrhaft wohltätigen, namentlich verwahrenden und veredelnden Einfluß ausgeübt hat. Erst mit dem, was 1. Mose 3 erzählt ist, mit dem Essen vom verbotenen Baum, ist die Sünde vollendet worden. Vordem hatte Eva einen "einfältigen, kindlichen" Sinn, und Adam hätte noch immer, nur gleichsam auf einem Umweg, eben mittelst seiner "Gehilfin", welche die Stelle der Weisheit vertreten sollte, in seliger Vereinigung mit Gott als dem Ursprung seines Wesens zu immer größerer Vollkommenheit und Herrlichkeit gelangen können. Statt dessen aber ist er freilich zuletzt von der richtigen Bahn gänzlich abgekommen. "Hätte der Mensch nur nicht (von der Lust nach der verbotenen Frucht) sich infizieren lassen, hätte er vom Lebensbaum fortgegessen, so wäre alles recht gewesen".) Ja Adam und Eva hätten, wenn sie nicht gesündigt hätten, die Weisheit erst recht und für immer zur Führerin, zur Freundin und Gespielin bekommen und das Bild Gottes, das nach dem früher Bemerkten dem Menschen zwar anerschaffen, aber vorerst noch verlierbar war, "in sich geboren"; es wären auch "alle Kreaturen durch sie zum Leben erhöht und unsterblich gemacht, alles wäre in das eine, reine, paradiesische Lebenselement verwandelt worden." "Aber Satan, der ein Lügner und Mörder von Anfang ist, wollte die Herrrschaft über die Menschen erlangen. Darum verführte er die einfältige und kindliche Eva; mit seiner Schlangenlist brachte er sie von der Einfalt ab und beraubte sie ihrer Unschuld ..." Ganz ähnlich spricht sich Hahn auch in dem "System seiner Gedanken" aus: "Immer noch (auch nach der Erschaffung des Weibes) war der Fall nicht ganz ausgeboren. Wären Adam und Eva im Gehorsam geblieben, so hätte ihnen immer noch leicht geholfen werden mögen, und sie wären gewiß in ihrer Einfalt nach und nach wieder zur Gottähnlichkeit und Vollkommenheit gekommen, denn wenn sie ihren Willen mit Gott geeinigt haben, sollte gewiß das Wort des Lebens ihnen nach und nach wieder das Lebenslicht geworden sein, und durch das Essen vom Baum des Lebens sollte sich ihnen auch das Wort des Lebens mitgeteilt haben. Aber dem Satan war es nicht genug, den Menschen nur so weit gefällt und erniedrigt zu haben; er sann auf ein Mittel, den Menschen in den Tod und das Verderben zu ziehen. Und leider ist es ihm gelungen, nachdem er sie aus der Einfalt und dem Gehorsam herausgezaubert hatte. Jetzt, da sie vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen aßen, wurden sie mit Todes- und Sündengift infiziert und fingen an zu sterben...".

Um bei der Betrachtung des Hahnschen Systems vor einer irrigen Auffassung seiner Gedanken bewahrt zu bleiben, zu welcher seine oft mangelhafte Art sich auszusprechen Anlaß geben könnte und schon oft Anlaß gegeben hat, müssen wir freilich seinen eigentlichen Sinn und seine Meinung uns endlich klar zu machen suchen. Wenn man z.B. mit manchen älteren und neueren Denkern einmal annimmt, daß mit dem ersten Menschen schon vor dem 1. Mose 3 erzählten Ereignis - vor dem Essen der verbotenen Frucht - eine gewisse Veränderung, eine Umwandlung in dem oben dargestellten Sinne vorgegangen sei, so ist man selbstver-ständlich auch zu der weiteren Annahme genötigt, daß der ursprüngliche Leib des Menschen nicht bloß in der einen oder anderen Beziehung anders gestaltet war als der jetzige Leib, daß vielmehr der paradiesische Leib so wenig anders geartet und organisiert und nach seiner ganzen Existenzweise andern, höheren Gesetzen unterworfen war als unser jetziger gestalteter Leib. (So war auch der Stoff, aus welchem Gott das Weib bildete, die aus Adam genommene "Rippe", wie man mit Recht schon gemerkt hat, nicht etwa ein starrer Knochen, sondern vermutlich ein kraft- und lebenerfüllter Auszug aller das menschliche Wesen veredelnden Grundstoffe; "Gott nahm eine der Rippen Adams oder eigentlich die Hälfte seiner Menschheit, die weibliche Tinktur aus ihm, und schuf ihm daraus ein Weib nach seinem Willen", bemerkt Hahn im 8. Band seiner Schriften.) - Insbesondere muß der ganze Ernährungsprozeß mit allem, was daran hängt, eine andere Beschaffenheit gehabt haben als jetzt, vorüber sich Hahn in verschiedenen Stellen seiner Schriften gleichfalls ausspricht. Wenn der erste Mensch vor dem Fall Speise und Trank zu sich nahm, so mag dies in ähnlicher Weise geschehen sein, wie es von dem Herrn nach seiner Auferstehung geschah (Lk 24, 43), oder wie es hie und da von Engeln geschehen ist (1. Mose 18, 8; vergleiche Ri 13, 16), oder wie es von den Seligen im Himmel geschehen wird, deren verklärte Leiber gleichfalls noch eines wirklichen, sehr reelen Genußes fähig sind (Mt 26, 29; Off 2, 7.17; 22, 2). Wir müssen es demgemäß für möglich halten, daß es einen Zustand gibt, in welchem die guten Gaben Gottes, die der Mensch genießt, von ihm im ursprünglichen Sinn "verzehrt" werden, in der Art, daß sich der menschliche Organismus dieselben vollständig assimiliert, daß sie ganz mit der menschlichen Natur sich vermengen und in sie verwandelt werden. Der Mensch ist in diesen Zustand von dem göttlichen Geistesleben so durchdrungen, daß die Gaben, die er genießt, sofort opferartig aufgelöst und hiermit erhöht oder in eine andere, geistigere Sphäre erhoben werden. In ähnlicher Weise solle auch der Christ seinen Leib, wie Hahn sich gerne ausdrückt, als einen lebendigen Altar ansehen, sofern die Gaben, welche ihm Gott zur Erhaltung des leiblichen Lebens beschert, von ihm mit Gebet und Danksagung empfangen und aufgenommen, eben hiermit geheiligt und gleichsam als Opfer Gott geweiht werden sollen (1.Tim 4, 4), wenn dies auch in dem damaligen, durch die Sünde verderbten Zustand des Menschen nur unvollkommen geschehen kann. Daß aber dereinst ein solcher Zustand wiederkehren wird, in welchem alle, auch die natürlichen Dinge, die dem Menschen zum Gebrauche dienen, geheiligt sein werden, dafür bürgt uns vor allem das Heilige Abendmahl, in welchem gleichsam vorbildlich und im voraus die vergleichsweise edelsten Naturgaben, Brot und Wein, in besonderer Weise geweiht und geheiligt, von der Kraft eines höheren, himmlischen Lebens durchdrungen und im Glauben unter Gebet und Danksagung genossen, als Träger des verklärten Leibes und Blutes Christi dem inneren Menschen, dem Geistes-menschen, wirklich und wahrhaftig zur Nahrung dienen.

Daß die Art, wie der Mensch vor dem Fall die Gaben Gottes genoß, eine andere war als sie jetzt ist, wird uns noch mehr einleuchten, wenn wir erwägen, daß im Urzustand nicht bloß die Natur des Menschen selbst, sondern auch die ganze ihn umgehende äußere Natur auf einer höheren Stufe stand, daß im Paradies alles in viel höherem Grad, als es gegenwärtig der Fall ist, mit dem Segen Gottes, mit der Kraft des göttlichen Lebens erfüllt war, daß namentlich auch die Naturgaben, welche die Güte Gottes den Menschen darbot (wohl auch die 1. Mose 1, 22 genannten), keine solche rohen, groben Stoffe waren, wie die jetzigen Nahrungsmittel sind. Dieselben waren vielmehr von einer edleren, höheren Art und konnten daher umso leichter in der oben bezeichneten Weise vollständig in die dazumal noch ganz vom göttlichen Lichtleben durchdrungene leibliche Natur des Menschen übergehen.

Daß auch die den Menschen umgehende Natur und Kreatur vor dem Fall sich in einem vollkommeneren Zustand befand, darauf weist uns unter anderem die Verfluchung des Ackers hin (1. Mose 3, 17); und ebenso ist auch das, was Paulus Röm 8, 19 ff von dem Seufzen der der Eitelkeit unterworfenen Kreatur sagt, sowie das, was das prophetische Wort von der geistigen Zurückführung auch der unvernünftigen Geschöpfe in einem erfreulichen und gesegneteren Zustand weissagt (Jes 11, 6 ff; 65, 29; Hes 36, 29 ff; 47, 12; Off 21, 9 ff; 22, 1 ff), alles Nachdenkens wert. Zudem gilt aus dem bereits angeführten Wort des Apostels, daß alle Kreatur Gottes gut und nichts verwerflich sei, sofern es mit Danksagung empfangen werde, deutlich hervor, wie nötig es allerdings ist, daß alle Kreatur von dem Menschen, durch dessen Schuld der Fluch in sie eingedrungen ist, geheiligt und gesegnet werde, wenn er nicht immer neu ein Verderber, sondern ein Priester der Natur sein will. Dies hebt Hahn unter anderem in seinen Betrachtungen über 1. Tim 4, 4 und Off 11, 18 mit besonderem Nachdruck hervor.

So war denn die Nahrung des Menschen vor dem Fall eine ganz und gar seiner paradiesischen Leiblichkeit entsprechende, und es gehört nicht zu dem Strafzustand, zu welchem er degradiert werden mußte, daß ihm "das Kraut auf dem Felde", das vermutlich anfangs nur den Tieren des Feldes als Speise dienen sollte, zur Nahrung angewiesen ward. (Der Genuß des Tierfleisches scheint erst später, nach der Sintflut eingeführt worden zu sein, da der menschliche Organismus mit der Zeit immer schwächer wurde und daher einer kräftigeren, derberen Nahrung bedurfte; ursprünglich war der Mensch, wie uns auch die Naturkundigen belehren, auf Pflanzenkost angewiesen. Vergleiche 1. Mose 3, 18.22.23; 9, 3).

Nach alldem wird man es erklärlich finden, wie Hahn auf Grund der Heiligen Schrift zu der Annahme gelangte, daß durch den Fall die ganze Natur des Menschen roher, massiver, plumper und zugleich kraftloser geworden sei. Eben dies ist ja auch in dem Wort ausgesprochen: die Menschen sind Fleisch (1. Mose 6, 3). Die Sinnlichkeit, die anfangs von dem Leben des Geistes aus Gott beherrscht und niedergehalten war, hatte das Übergewicht gewonnen; der Mensch war tierähnlich geworden, womit naturgemäß, da ihm doch auch eine Erinnerung an seine ursprüngliche Würde geblieben war, das Erwachen des Schamgefühls Hand in Hand ging (1. Mose 2, 25; 3, 7). Man kann es sich kaum vorstellen, daß jemand, der an der Lehre der Heiligen Schrift von der ursprünglichen Bestimmung des Menschen festhält, glauben kann, es sei in der menschlichen Natur und in der Natur und Kreatur um uns her alles noch in bester und schönster Ordnung, es sei mit dem Menschen seit seiner Erschaffung keine physische, sondern nur eine moralische Veränderung vorgegangen, und der paradiesische Leib sei dem jetzigen Menschenleib völlig gleichartig gewesen. Oder ist es nicht Tatsache, daß gerade ernstgesinnte, edlere Geister häufig eine eigentümliche stille Trauer durch das Leben begleitet, welche zwar ihrer Freude in dem Herrn keinen Eintrag tut, die aber ihren festen Grund eben darin hat, das seit dem Fall so manches vorliegt, das des Menschen durchaus unwürdig ist, welcher doch nichts Geringeres als der Stellvertreter Gottes, der Träger des göttlichen Ebenbildes und ein Erbe der Unsterblichkeit sein soll! Gewiß jedem, der sich mit den gegenwärtigen Zuständen, welche großenteils eine Folge des Falles sind, nicht ganz abgefunden hat, jedem, dem das Bewußtsein des hohen Adels und der unbeschreiblichen Würde, zu welcher der Mensch bestimmt war und noch bestimmt ist, nicht völlig abhanden gekommen ist, wird die mehrfache nahe Verwandschaft der Menschennatur mit dem tierischen Leib einen tiefen Schmerz verursachen. Er wird sich mit dem Apostel, solange er in der Hütte ist, "beschwert" fühlen (2. Kor 5, 4), er wird mit jenem Weisen der vorchristlichen Zeit in das Bekenntnis einstimmen: "der sterbliche Leichnam beschwert die Seele, und die irdische Hütte drückt den vielbe-schäftigten Sinn" (Weisheit 9, 10) - kurz, es wird sich ihm mit Macht die Überzeugung aufdrängen, daß auch in Ansehung unsrer leiblichen Natur - welche unter anderem auch zahllosen Krankheiten und (nach der bestimmten Lehre der Heiligen Schrift lediglich infolge des in sie eingedrungenen Sündengiftes) den Tod und der Verwesung unterworfen ist - nicht mehr alles "sehr gut" sei, daß der jetzige Leib nach dem Ausdruck des Apostels nur als ein "nichtiger", als ein "Leib der Demütigung" gezeichnet werden könne (Phil 3, 21). Oder wie könnte Paulus den Leib so nennen, falls seit der paradiesischen Zeit keine Veränderung mit ihm vorgegangen wäre? Und was hätte es im letzteren Fall für einen Sinn, wenn derselbe Apostel Röm 8, 23 bemerkt, daß auch unser Leib dereinst einer "Erlösung" teilhaftig werden solle, worauf das Sehnen des Christen fort und fort hingehe?

Wenn selbst auch edlere Heiden wiederholt den Gedanken ausgesprochen haben, daß der Körper für den Geist in mehrfacher Hinsicht eine Last sei, so beweist dies nichts gegen unsere Auffassung. Diese stammt darum nicht aus dem Heidentum, sondern die Auffassung jener heidnischen Weisen stammt aus dem allen Menschen angeborenen Gefühl von der ursprünglichen Würde der Menschennatur, welches Gefühl durch das Christentum nur zum klarsten und bestimmtesten Ausdruck gebracht worden ist. Daß der Christ bei allem dem weit davon entfernt ist, in falschgeistlichem und übergeistlichem Sinne den Leib und das leibliche Leben geringzuschätzen, daß er nicht vor der von Gott bestimmten Zeit aus den Banden des Irdischen erlöst zu werden begehrt, daß er auch über jener ihn allerdings unablässig begleitenden Sehnsucht nach völliger Erlösung seine täglichen Berufspflichten, die großenteils auf das natürliche, leibliche Leben Bezug haben, nicht verabsäumt, daß er sich überhaupt in allen Dingen als ein nüchterner, besonnerer Mensch aufführen wird, welcher weiß, wozu er in der Welt ist, darf wohl kaum erst ausdrücklich vermerkt werden.

Warum sollte auch ein Mensch, welcher auf Grund der ihm in der Heiligen Schrift gegebenen Verheißungen es seinem Herrn zutraut, daß er dereinst diesen seinen nichtigen Leib verwandeln und verklären werde, damit er ins Lichtreich tauge, (vgl. Lk 20, 35) nicht ebensowohl es für möglich halten, daß Gott dem Menschen gleich anfangs einen ähnlichen, reinen und feinen, geistigen Leib gegeben habe, der nach allen Beziehungen mit seiner paradiesischen Umgebung harmonierte? Oder was steht nach allem bisher Dargelegten der Annahme entgegen, daß jene Umwandlung, Erneuerung und Verklärung unseres gegenwärtigen Leibes eben darum notwendig sei, weil er bereits eine Umwandlung - eine Änderung schlimmer und trauriger Art - erlitten hat, welche so groß ist, daß sie nach dem Ausspruch Gottes (1. Mose 2, 17) geradezu als ein "Sterben" bezeichnet werden muß?

 

So ist denn der Mensch ein armes, höchst bedauernswertes Geschöpf geworden. Das Ebenbild Gottes, die eigentliche Zierde, Kraft und Herrlichkeit des Menschen ist verloren. "Gott sprach: nun muß Adam aus dem Garten getrieben werden, daß er nicht wieder vom Baum des Lebens Wesen der Unsterblichkeit esse und lebe ewiglich in diesem tierischen-sinnlichen Zustand als einer, der Böses und Gutes weiß und eine boshafte Seele hat mit einem tierischen Leibe", schreibt Hahn. Und nachdem die ersten Eltern gefallen waren, "pflanzte sich in ihren Nachkommen Sünde und Tod fort von Geschlecht zu Geschlecht. Denn so wie in dem Kern eines Apfels wieder ein Baum mit vielen Äpfeln samentlich ist, also ist die ganze Menschheit samentlich in Adam und Eva gewesen, und darum ist auch Tod und Sünde zu allen durchgedrungen, dieweil sie in Adam alle gesündigt haben... Kaum ist aller der Jammer zu beschreiben, der durch den Sündenfall entstanden ist, ja noch täglich entsteht. Denn es ist, als ob sich die Menschheit tagtäglich noch mehr verschlimmerte. Schauet alle Dinge: selbst die Elemente wüten und toben miteinander; der Himmel Kräfte bewegen sich, und himmelschreiende Greueltaten reizen den Zorn Gottes, daß er in allerlei Gerichten sich ergießt; und die Gottesvergessenheit der Menschen steigt so sehr, daß sie sich erkühnen, wider den Schöpfer zu toben und zu verleugnen den Herrn, der sie erkauft hat!" (System).

Der Mensch irrt nunmehr - eine Ahnung von dem, was ihm fehlt, noch immer im Herzen tragend - auf der nicht mehr paradiesischen, sondern unter dem göttlichen Fluch stehenden Erde umher und sucht den unersättlichen Hunger seiner Seele vergeblich mit Trebern zu stillen, bis er, durch Gottes Zug im Gewissen nüchtern gemacht, zu sich selber kommt, sich über sich selbst zu besinnen anfängt und sich von den Trebern hinweg mit demütigem Herzen und gläubigem Verlangen zu Jesu Christus, dem rechten Lebensbaum, wendet, um in ihm Leben und volle Genüge zu finden. Hahn, in dessen Seele sich das Bild des von Gott rein und unschuldig geschaffenen Menschen so klar und wahr spiegelte, bricht im Blick auf den Verlust der ursprünglichen Herrlichkeit namentlich auch in seinen Liedern voll tiefen Schmerzgefühls in häufige Wehklagen aus: "Ach, was hat Adams Fall auf diesem Erdenball doch angericht!" ein andermal ruft er aus: "Seele, ach, wo ist dein Adel?" und: "Seele, ach, Du bist gewesen eine schöne Gottesbraut; ihm zur Ruhe auserlesen...". Ähnlichen Inhalts sind die Lieder "Jehova der du mich zum Bild dir geschaffen..." und viele andere.

Daß von jener Auffassung des Sündenfalles aus auf den ganzen gegenwärtigen Zustand der Menschheit und zumal auf gewisse Lebensverhältnisse ein eigentümliches Licht fällt, läßt sich leicht denken. Man kann sich z.B. nach allem bisherigen nicht sehr darüber wundern, wenn Hahn und seine Gesinnungsgenossen geneigt sind, diejenigen Menschen glücklich zu schätzen, welchen es durch Gottes Gnade gelingt, durch diese Welt, die nur eine Erziehungsschule für eine höhere Welt sein soll, möglichst einfach und ungehindert hindurchzuwandern und lediglich den Zwecken des Reiches Gottes zu leben, ohne durch Familiensorgen und anderes, das sich im Ehestand so leicht als eine drückende Last auf das Herz und Gemüt hinlegt, beschwert zu sein. Hierbei legt Hahn selbstverständlich auf Stellen wie Mt 19, 11.12; 1. Kor 7, 1.7.28 ff ein großes Gewicht. Wenn aber Hahns Auffassung der hier in Erwägung kommenden Punkte schon so mannigfachen Widerspruch gefunden hat und noch findet, so ist häufig zweierlei übersehen worden: fürs erste, daß er die Gabe, zeitlebens im ehelosen Stande zu verharren und dabei ein wirklich gottgefälliges Leben zu führen, durchaus als eine Gnadengabe ansieht, welche Gott nach seinem Wohlgefallen und zugleich nach seiner ewigen Vorersehung dem einen verleihen und dem anderen vorenthalten kann, welche auch niemand nach Belieben an sich reißen kann, weswegen auch kein wahrhaft demütiger Christ von vorneherein irgend einen festen Vorsatz fassen wird, in welchem Stande er sein Leben hinbringen wolle, wie auch keiner Ursache hat, auf seinen ehelosen Stand sich etwas einzubilden. Auch werden gewiß gerade diejenigen, welche nicht aus Hochmut oder frommem Eigensinn sondern einfach aus Überzeugung ehelos bleiben, am weitesten davon entfernt sein, sich für jene Welt auf irgendwelche besonderen Vorzüge Rechnung zu machen. Fürs zweite hat man oft nicht genug bedacht, daß Hahn selbst den ehelichen Stand gar nicht geringgeachtet hat, daß er vielmehr vor christlichen Ehegatten, welche wirklich "im Herrn" verbunden sind und ihren Ehestand den göttlichen Absichten gemäß führen, immer eine ganz besondere Hochachtung hatte. Gewiß hätten bei genauerer Bekanntschaft mit seinen Schriften oder bei unparteiischer und unbefangener Prüfung der darin niedergelegten Gedanken und Anschauungen die irrigen Begriffe, welche über seine Auffassung des ehelichen und des ehelosen Standes von jeher im Schwange gingen, vermieden oder doch leicht beseitigt werden können. Einesteils spricht er sich allerdings sehr bestimmt dahin aus, daß solche, welche nach den Worten des Heilandes Mt 19, 12 um des Himmelsreichs willen, und ungehinderter dem Herrn dienen zu können, freiwillig auf die irdische Liebe verzichten, manche nicht geringe Vorteile genießen und unter gewissen Bedingungen in jener Welt ein überaus herrliches Los erlangen werden, wenn sie nämlich ihre Leibes-, Seelen- und Geisteskräfte Gott zum Opfer bringen, sie wirklich in seinem Dienst verzehren und sie eben hiermit je länger je mehr heiligen und erhöhen lassen. Andernfalls aber rühmt er auch oft und viel die Heiligkeit des ehelichen Standes und den besonderen Segen, der auf demselben ruhe. "Die eheliche Liebe", bemerkt er z.B. zu Eph 5, 31, "ist von Gott dem Schöpfer und weit heiliger, als der fleischliche Sinn es sich vorstellt; denn Hurenliebe ist teuflisch gegen reine Ehestandsliebe, wie ich es von rechtschaffenen, weisen Männern gehört, aber freilich nicht selbst erfahren habe. Darum sollen christliche Männer die Ehe heilig halten..."(Bd III, 2.Abt.). Ja auch der im Ehestand Lebende kann, wenn er die Vorteile, die ihm sein Verhältnis darbietet, (z.B. allerlei Hauskreuz und dergleichen), treu benützt, in jener Welt eine ungewöhnliche Herrlichkeit und solche Vorzüge erlangen, deren manche ledig Gebliebene ermangeln werden. "Es ist wahr" schreibt er unter anderem, "der ledige Stand ist an manchen Orten und von manchen Personen zu viel ästimiert und zu allgemein geschätzt worden. Hingegen wurde er an anderen Orten und von anderen Personen verachtet, gar nicht geschätzt und als für niemand tauglich erklärt. Beides ist nicht recht und ist zu viel. Der ledige Stand hat seine gewissen Vorteile, aber nur für gewisse Personen; hingegen hat der eheliche Stand auch gewisse Vorteile, aber gleichfalls für gewisse Personen ..." Kann man sich unparteiischer über diesen Gegenstand aussprechen? - ferner schreibt er: "Meine niemand, daß wir das von dem Schöpfer in die Natur gelegte Vermehrungsvermögen tadeln und korrigieren wollen; dasselbe ist in dem von Gott geheiligten Stande recht und gut. Was sich multipliziert, ist nicht verderbt, sondern erhalten. Viele verachten aus einem stolzen Herzensgrund, was Gott geheiligt hat und was er zum Vorteile seines Reiches zu gebrauchen weiß. Der Verächter steht in Gefahr, schändlich zu verderben, und das um seines Stolzes willen". Und an einer andern Stelle lesen wir: "Es ist ein törichtes Mißverständnis nicht allein unter fremden und unbekannten Wahrheitsfreunden, wenn sie glauben, ich und meine sogenannten Anhänger geben dem ledigen Stand ohne Ausnahme gewisse Vorzüge; diese Torheit herrscht auch unter den Unseren noch hier und da. Sollte nicht jeder vernünftige und erleuchtete Mensch den Unterschied erkennen und einsehen zwischen Vorteilen und Vorzügen? Denn Vorteile werden erst zu Vorzügen verhelfen, wenn sie gehörig benützt werden. Daß nun der ledige Stand den Vorteil hat, daß man darin ungehinderter dem Herrn dienen und anhangen kann, das kann uns die Schrift und Erfahrung lehren. Aber Vorteile sind ja, wie gesagt, noch keine Vorzüge. Wenn demnach ein im ledigen Stand erweckter Mensch die Vorteile dieses Standes nicht benützt, wenn er nicht einzig und allein sorgt, was dem Herrn angehört, wie er ihm allein gefalle; wenn er nicht von sich und allen Kreaturen los und nur Gott offen ist, die Strahlen der Herrlichkeit Jesu faßt und allen anderen verschlossen ist: was sollte er von den Vorteilen, die er hätte, für Vorzüge haben? Wenn der ledige Stand Vorzüge brächte, ohne daß die Vorteile, die er hat, benützt werden, so wären Mönche und Nonnen die seligsten Geschöpfe auf Erden. Wenn also ein Mensch wahrhaftig ledig sein soll, nun, so muß er an gar nichts kleben und hangen, er muß weder feine noch grobe Weltart und Weltgesinnung haben; er muß nur dem Herrn anhangen und ein Geist mit ihm werden; und das alles kann er durch Gnade, sein Stand gestattet es wohl. Demnach ist der nicht ledig, ob er auch ohne Ehe ist, welcher die ihm dargebotenen Vorteile nicht benützt, und mancher in der Ehe, der die Vorteile seines Standes benützt, gelangt zu den Vorzügen, zu denen jener hätte gelangen können, ist also weit besser daran und verdient große Achtung in seiner Ehe, die ihn nicht hindern kann, dem Herrn anzuhangen, ein Geist mit ihm zu werden..." (Bd XII, 1. Abt).

An einen jüngeren Bruder schreibt er in einem Brief: "Wir fassen keine eigensinnigen Vorsätze und tun keine unzeitigen, unüberlegten Gelübde, sondern überlassen uns der Führung Gottes, und was uns die Weisheit Gottes in unseren Lauf hinein verordnet hat, das nehmen wir an, ja dem wollen wir nicht ausweichen. Gott ist mein Zeuge, daß ich den Ehestand hoch und teuer achte und Personen, die ihn heilig und in Ordnung halten, sehr respektiere, obschon meine Widersacher das Gegenteil behaupten... Ich hielte es für ketzerisch und teuflisch, wenn man allen erweckten ledigen Leuten vom Ehelichwerden abraten und den ledigen Stand allen insgeheim anpreisen wollte... Indessen ist es auch nicht der Wahrheit und dem Sinn Christi und der Apostel gemäß, jedermann ohne Unterschied den Ehestand anraten oder gar aufdrängen zu wollen; es hat jeder seine eigene Gabe von Gott" (Bd XIII, 1. Abt.). In eben diesem Briefe bekennt er auch, daß er in jüngeren Jahren durch die Wahrnehmung, daß in der Christenheit nicht nur außer sondern auch selbst in der Ehe wahrhaft greuliche Dinge vorkommen, veranlaßt worden sei, sich in sehr scharfen Ausdrücken zu äußern, wenn er auf diese "schrecklichen Greueltaten" zu sprechen gekommen sei. Er habe sich aber seither überzeugt, daß "der ledige Stand noch weit größerem Mißbrauch ausgesetzt sei als der eheliche Stand" und daß der erstere "nicht jedem, ja bei weitem nicht vielen tauge" . "Ich bin also nicht nur wohl zufrieden, wenn viele in den Ehestand treten, ihn heilig halten und in Ordnung führen, sondern ich sehe es auch gerne und rate dazu, wo ich es für gut findet". Demgemäß weist er denn auch eine Person, welche es zu bereuen schien, in den Ehestand getreten zu sein, unter anderem mit folgenden ernsten Worten zurecht: "Ich meine, Du solltest und könntest in Deinem jetzigen Stande dich wohl zufrieden geben, da Du nicht beweisen kannst, daß es ein Gott mißfälliger Stand ist; jeder Bibelchrist kann dir das Gegenteil beweisen... Du wirst hoffentlich keine himmelschreiende Sünde begangen haben, daß Du den frommen Eigensinn gebrochen hast. Was hast Du denn werden wollen? Vielleicht ein wahrer, lebendiger Kraftchrist? Wohlan, so sage mir, kannst Du denn das nicht mehr werden, oder sollte Dich dein jetziger Stand daran verhindern? Dann müßte ich sagen: wehe den vielen, die in diesem Stande sind! Aber nein, das können wir weder sagen noch beweisen... Glaubst Du nicht, daß manche edle Seele in der Ehe mehr Gemütskeuschheit bewahren wird als eine leichtsinnige Jungfrau? Ich wenigstens glaube es" (Bd XIII, 1. Abt.).

Vor solchen, welche unverheiratet bleiben und ihre Zeit und Kraft nicht ganz im Dienste Gottes und seiner Reichssache verwenden, sondern allerlei unlautere Nebenabsichten hegen, insbesondere dem Geiz und der Unreinigkeit ergeben sind, hatte Hahn einen wahren Abscheu. "Es ist mir kein ekelhafter Ding auf der Welt", schreibt er, "als ein erwachsender, lediger Mensch, wenn er nicht ganz Gott ergeben ist und ergeben zu sein sich befleißt, wenn er nicht alle seine Leibes- und Lebenskraft im Dienste des Königreichs Jesu verzehrt; denn ich halte ihn für einen Taugenichts und für einen Gott unbrauchbaren Menschen... Mancher bringt es in seinem ledigen Stand nicht weit und hernach auch im Ehestand zu nichts Rechtem und Ganzem - ist es alsdann nicht einerlei, ob er ehelich oder ledig gestorben ist? Ja wäre es unter solchen Umständen für den ledig gebliebenen nicht besser gewesen, er wäre ehelich geworden und ehelich gestorben? Der ehelose Stand macht uns vor Gott nicht heiliger... Der tut, wie gedacht, am besten, der sich ganz willenlos Gott ergibt, sich auf die priesterliche Seele Jesu bindet mit gänzlicher Verleugnung und betet, daß Gott verhindere, was nicht gut sei, und fördere, was zu seiner Ehre, zur Vermehrung seines Reiches und zu unserem und unsres Nächsten Heil am besten sei". So nüchtern schreibt er an eine Person, die sich in Betreff eines Heiratsantrags fragend und um Rat bittend an ihn gewendet hatte. Gleich im Eingang seines Schreibens hatte er bemerkt, nur ganz ungern schicke er sich an, in solchen Angelegenheiten zu raten; in keiner Sache sei es mißlicher als in dieser. Der beste und sicherste Rat, den er in diesem Fall zu geben wisse, sei der: Frage Gott, was Du tun oder lassen sollst, und bitte: verhindere Du, o Gott, was mir nicht gut ist, und befördere das, was mir auf Zeit und Ewigkeit nützt und dient. Es sei demnach das beste, wenn man sage: handle doch nach deiner inneren Überzeugung und sei derselben nicht untreu!

Derselbe Sinn, welcher in den bisher angeführten Stellen seiner Schriften zutage tritt, findet sich auch in vielen seiner Lieder ausgesprochen. "Die echte, rechte Ledigkeit kann ein Verehelichter auch haben usw."; "Sind denn das Jungfrauen, die nicht Männer haben? "In diesem Lied sagt er u.a.: "Ledig sind die Seelen, die an gar nichts kleben, die den Herrn und in ihm leben; die nur das besorgen, was ihm angehört, was sein treues Herz begehrt. Das heißt frei und getreu, dies heißt recht auf Erden los und ledig werden."

Im übrigen ist Hahns Lehre allerdings gar nicht dazu angetan, dem fleischlichen Sinn, der in und außer der Ehe sich auf tausendfältige Weise Nahrung zu verschaffen sucht, Vorschub zu leisten oder der Unlauterkeit und Trägheit, der Kreuzes- und Verleugnungsscheu usw das Wort zu reden; daher wird sie auch, soweit sie mit der Schriftlehre harmoniert, ebenso wie diese dem heidnischen und jüdischen Sinn aller Zeiten eine Torheit und ein Ärgernis sein. Hahn war es nun einmal klar, daß der Weg des Kreuzes der einzige sein, auf welchem der Mensch seine ursprüngliche Bestimmung wieder erreichen könne. Hat er mit Lust gesündigt, so kann der Rückweg zu Gott von ihm nicht anders als unter viel Unlust, Not und Schmerzen gefunden werden.

 

c) Die Erneuerung und Wiederherstellung des Menschen und der ganzen Schöpfung durch Christus

Daß wir Menschen durch Jesus Christus gerecht und heilig werden können, das wird wohl von keinem bibelgläubigen Christen in Abrede gezogen. Sobald es sich aber um die Frage handelt: Wie mag solches zugehen? treten die Gegensätze wieder hervor. So ging es auch zu Hahns Zeit. Manche hielten ihn für einen werkheiligen, selbstgerechten Pharisäer, der durch seine Lehre dem Verdienste Christi Abbruch tue. Allein wenn irgendwo, so steht Hahn hier ganz auf dem Boden des Evangeliums, wovon sich jeder überzeugen kann, der von den zahlreichen Liedern, Briefen und Betrachtungen, worin er auf diesen Gegenstand zu sprechen kommt, auch nur einige unbefangen und aufmerksam liest. Wird er doch nicht müde, einesteils das tiefe, unergründliche Verderben der menschlichen Natur uns so überzeugend und anschaulich als möglich vor Augen zu malen, andernteils Jesus Christus als denjenigen, in welchem der gefallene Mensch allein Heil und Rettung findet und der einem jeden nach Freiheit und Erlösung verlangenden Adamskinde von Anfang bis zum Ende seines Glaubenslaufs ganz unentbehrlich ist, allen anzupreisen. Oder meint man etwa Worte eines selbstgerechten Pharisäers zu hören, wenn Hahn z.B. singt: "Dieweil Du, armes Menschenkind, noch gar zu sehr bist bloß und blind, so laß dir Kleider schenken! Der Heiland schenkt zur Seligkeit die völlige Gerechtigkeit, zu ihm sollst Du Dich lenken. Nimm dies Geschenk nur freudig an, dies ists, was dich bedecken kann... Man sagt dir: willst Du finden Ruh so deck dich nur nicht selber zu mit vielen eigenen Werken ... "? Ein andermal ruft er einem wegen seiner Sünden Bekümmerten zu: "Der, welcher sich selbst will bekehren und martert sich fast Tag und Nacht, wird sich nur immer mehr verkehren... Komm nur recht arm, soll Gott dir schenken; denn alle Reichen läßt er leer...Herz, höre auf mit Selberflicken der eigenen Gerechtigkeit ..." Einer andern angefochtenen Seele schreibt er: "Der Sünde Schuld ist abgericht, das Lamm hat sie ja abgetragen; was dieser Ansicht widerspricht, soll man getrost zum Satan jagen; denn eine solche Lügenlehre kommt von ihm aus dem Abgrund her". Man lese ferner, wie er sich über Röm 9, 16 ausspricht: "Also liegts, o merkts doch, Seelen, nicht am Wollen oder Wählen, kommt es aus der Eigenheit; auch liegts nicht am eignen Eilen, eifrig Laufen oder Heulen, noch an eigner Frömmigkeit... Wer dem Wort des Herrn wird glauben, den wird es durchaus berauben aller Selbstge-rechtigkeit, der kann ins Erbarmen sinken, und Gott kann ihm Gnade schenken, Leben, Licht und Seligkeit" (Bd XIII). Oder man erwäge, was er zu Off 19 bemerkt (Bd XII, 2.Abt.): "Ist denn meine Glaubens- und daraus fließende Lebensgerechtigkeit nicht beides Gottes Werk und Sache, und kann ich denn ohne mein Haupt auch etwas Gutes? Und wenn denn alles Gute sein ist, so habe ja ich mich nichts zu rühmen in aller Welt. Habe ich also durch Gottes Gnadenbeistand meiden, leiden, dulden, schweigen und sich selbst verleugnen können, daß Gott hieraus Rechte zu meiner Verherrlichung gesammelt hat, so hat er und nur er allein das alles getan, und ich bin ihm für alles herzlichen Dank schuldig. Darum sind es kurzsichtige Begriffe, wenn man nur das, was Jesus in seiner Person für uns getan, als sein Verdienst betrachtet, und nicht auch das, was er in unsrer Person und durch uns tut und macht."

Gar herzlich betet er auch in einem Abendliede, nachdem er die vielen den Tag über begangenen Fehler beklagt hat: "Doch ist mir wohl zumute, weil ich mich halt zum Blute, darin das Leben ist: es ist für mich vergossen, auch mir zugut geflossen aus dir, mein Heiland Jesus Christ! - Ich bau auf dein Verdienste, die sind mir das Gewünschte, Du bist mein Gnadenthron; der Zorn kann mich nicht haschen, ich werd im Blut gewaschen, im Blut von dir, o Gottessohn!". Oder was sagt der liebe Leser dazu, wenn er vernimmt, was Hahn unter Bezugnahme auf das merkwürdige Wort Kol 1, 24 ("ich erstatte an meinem Fleisch, was noch mangelt an Trübsalen in Christo...") schreibt: "Alle Arten der Leiden und Verfolgungen wahrer Christen zu allen Zeiten müssen nie als ein die Versöhnung ergänzendes Opfer betrachtet werden, denn Gott ist mit der ganzen Welt (oder die Welt mit Gott) durch den Opfertod Jesu auf einmal und immer versöhnt, und alle Schlachtopfer, die je geopfert worden sind und noch geopfert werden sollen, sind durch das allein gültige Versöhnopfer geheiligt und zu angenehmen Opfern gemacht. Daher ist alle Art Leiden, Trübsal und Verfolgung aller Jesusglieder zu allen Zeiten nur als eine Sache zu betrachten, die sie dem leidenden Christus ähnlich machen soll".

"Aus Deinem Schreiben", bemerkt er ein andermal, "scheint mir hervorzugehen, daß Du bei der Erkenntnis deines Verderbens keine Zuflucht mehr zur Selbsthilfe und zum Eigenwirken als zum Erlöser genommen habest. Ich möchte dir daher raten, aufzuhören, eine eigene Gerechtigkeit auszurichten, und dich mehr um die Glaubensgerechtigkeit zu bekümmern ...".

An bestimmtesten aber spricht er sich über die fraglichen Punkte in seinem "Gedankensystem" aus. "Gott war selber in Christo und versöhnte uns und die ganze Welt mit sich selber. Hiezu war kein anderes Opfer möglich, keines genug und gültig; aber dies einzige war das echte, rechte. Das gilt in Ewigkeit, und mit diesem ist ja eine in alle Ewigkeit geltende Erlösung erfunden... Ich meine, aus dem, was vorgekommen ist, solltest Du nicht allein den Versöhner und das Versöhnopfer, sondern auch die Versöhnung selbst haben erkennen mögen. Denn wenn gefragt worden ist: Christus habe sich durch das Feuer des ewigen Geistes Gott geopfert, den Zorn Gottes gelöscht und in Liebe verwandelt, und er habe bezahlt, was Adam geraubt hatte, so ist in der Tat mit wenig Worten viel gesagt. Denn also ist der Gerechtigkeit Gottes Genüge geschehen und die Schuld abgetragen, so daß kein Heller fehlt, und die Handschrift, die wider uns war, ist zerrissen. Das Allerheiligste ist offen. Wir haben wieder Zugang zu Gott, haben Frieden mit Gott - nämlich wir, die wir im Glauben teil an der Versöhnung genommen. Die Versöhnung ist also geschehen; denn alles ist durch Christus versöhnt, d.h. es geht alle an. Sagt es ja Paulus:"daß alles durch ihn versöhnt würde." Das Wort "alles" schließt keinen aus, der Versöhnung bedarf. - Aber die große und herrliche Sache muß auch kund gemacht und publiziert werden. Darum hat Gott der Herr ein Amt gegeben und verordnet, das die Versöhnung predigt ... So hat denn Gott uns alle mit sich selbst versöhnt; aber nur der hat teil daran und nur der macht Gebrauch davon, der es im Glauben anhört und annimmt. Denn wenn ein Arzt bekannt machen lassen könnte, er habe die wahre Universalmedizin erfunden und es sei nicht eine einzige Krankheit, die nicht damit kuriert werden könnte, auch habe man gar nichts dafür zu bezahlen, man fordere gar nichts von dem Patienten, als daß er das alles so glauben und sich um die Arznei kümmern solle, bis daß er sie bekäme, - wenn aber dieser nun nicht käme, entweder dem Arzt oder der Arznei nicht traute oder nicht glaubte, daß er krank sei, also nichts annähme und sich nichts darum bekümmerte, mithin krank bliebe, was hülfe ihm der Arzt oder die Arznei? Ebenso hilft es demjenigen nichts, daß uns Gott mit sich selber versöhnt und eine Universalarznei für alle Seelenkrankheiten bereitet hat, der es nicht im Glauben anhört und annimmt und also keinen rechten Gebrauch davon macht. Also im Glauben annehmen, das ist Sache des Menschen; aber da muß er freilich wissen und glauben, daß er krank ist, es muß ihm darum zu tun sein, daß er mit Gott versöhnt sein möchte. Alsdann ist´s ihm eine frohe Botschaft, wenn er eingeladen wird, wenn man ihn bittet: Laß dich versöhnen mit Gott! Ein solcher wird begierig fragen: Wie habe ich es zu machen, was dabei zu tun und zu beachten? Und man wird ihm sagen: Glauben und vertrauen mußt du, denn du bist tot in Sünden, das wirst du ja fühlen; Christus kann und wird dich lebendig machen" (System). - So einfach nüchtern wußte Hahn die Grundzüge der evangelischen Heilslehre den Lesern seiner Schriften darzulegen.

Mit derselben Gründlichkeit und ebenso schrift- als erfahrungsgemäß spricht er sich an einer anderen Stelle der gleichen Schrift über die Rechtfertigung des Sünders vor Gott aus. "Unter Rechtfertigung verstehe ich Vergebung der Sünden und die Zurechnung einer vollkommenen, vor Gott geltenden Gerechtigkeit. Da ich ein Sünder bin, habe ich Vergebung nötig und bedarf eines Fremden und Besseren Gerechtigkeit, wenn ich selig werden und in das Königreich der Himmel kommen will. Sünder bin ich von Geburt und in der Tat. Ich habe Ungerechtigkeit ererbt, und fremde Schuld liegt in mir. Dieses Erbgift regt sich und ist eine finstere Quelle, die sich in dem Umlauf des natürlichen Lebens offenbart als ein aus gemeinschaftlich zusammenwirkenden Kräften vereinigtes Sündengesetz und finsteres Geburtsrad. (entlehnt Jak 3,6: wörtl. Übersetzung: "das Rad der Geburt".) Dieses nun bringt dem Tode Frucht, macht mich zum Charakter des Zorns Gottes und zu einer finsteren Kreatur, also zu einem Kinde der Hölle und Unseligkeit. Auf mannigfaltige Weise habe ich es probiert, von solchem Zustand loszukommen, es hat mir aber nicht gelingen wollen. Je mehr ich das Gesetz Gottes betrachtete, je mehr sah ich meine Ungestalt und Finsternis; je mehr ich mich entschloß, nach dem Gesetz Gottes zu leben, je mehr regte sich in mir das Sündengesetz, bis ich also meiner Gerechtigkeit, die ich noch zu haben glaubte, starb. Jetzt war ich ein Toter und ein Verfluchter, alle Hoffnung war dahin, bis ich gleichsam so tot war, daß nichts von meiner eigenen Gerechtigkeit sich regte. In solchem Zustand befand ich mich lange Zeit. Endlich wurde mir auf einmal Jesus mit seinen Verdiensten vorgemalt im Evangelium, und ich bekam Hoffnung der Hilfe. Vorher schätzte ich mich auf immer und ewig hin und glaubte, daß mir gar nicht mehr zu helfen wäre. Mir wurde klar, daß ich ein übernatürliches, ein göttliches Leben nötig habe, wenn ich nach Gottes Gebot und Willen leben wolle, wenn ich selig werden soll; nur göttliches Leben sei imstande, das finstere, verkehrte Drachenleben in mir zu überwinden und zu zerstören. Dieses Leben aber erlangte ich auf keine andere Weise als durch den Glauben an Christus, der der lebendigmachende Geist, der andere Adam ist...Armer Mensch, der du durchs Gesetz gerecht und selig werden willst! Kann denn das Gesetz lebendig machen? Gesetzt, du tust auch nach dem Buchstaben desselben, wer bist du alsdann? Erst ein Ismael, ein Sohn der Magd, und darfst dir nicht einbilden, mit den Kindern der obern Mutter zu erben...Gott ist niemand etwas schuldig. Wer sich dünken läßt, daß ihm Gott etwas schuldig sei, der ist ein Narr; denn alles gibt er aus Gnaden" (System).

Nur im Vorbeigehen sei hier noch an folgende Lieder erinnert, in welchen Hahn den gleichen Gegenstand behandelt: "Nein, nicht leben möcht ich mehr, wenn ich nicht versöhnt wäre ..."; "Komm, banges Herz, Du bist gemeint, Du darfst, Du sollst zu Jesu kommen ..."; "Komm, mein Herz, laß uns betrachten Jesum, Gottes Opferlamm..."; "Das Meer der Gnaden ist den Armen, die sich ersenken ins Erbarmen, alleine offen und bereit ..."; Ganz besonders ist auf das Lied zu verweisen: "Mein, du sollst nicht verzagen ob deiner Sündenschuld! Denn sie ist abgetragen, und Gott ist voller Huld" - ein echt evangelisches Glaubens- und Siegeslied, worin einer angefochtenen Seele u.a. zugerufen wird: "Der Teufel kann´s nicht leiden, daß man Vergebung glaubt, er hat schon manchen Leuten den Trostgrund auch geraubt...Wir lassen´s uns nicht nehmen, wir haben´s ja mit Recht, der Lügner soll sich schämen, der uns belügen möcht. Die Handschrift ist zerrissen, wir haben Heil und Ruh, uns bleibt ein gut Gewissen, wenn wir nur greifen zu. - Was gehn denn unsre Sünden den Satan immer an?...Gib also kühn dem Teufel das, was ihm angehört, den Haufen deiner Zweifel, denn sie sind es nicht wert, daß du dich solltest quälen damit bei Tag und Nacht... Schau doch auf den Erlöser, der an das Kreuz erhöht... Für Sünder hängt er dorten an seinem Kreuzesstamm, ach, glaube Gottes Worten, schau doch auf Gottes Lamm!" Endlich gehört hierher auch das aus der freudigsten Gewißheit der Gotteskindschaft geflossene, innige und von einem stillen Friedenshauche durchwebte Lied: "Warum sollte ich nicht selig sterben, der ich an Jesum Christum glaub?"

Kann man sich entschiedener zu der evangelischen Lehre von der Rechtfertigung des Sünders allein durch den im Glauben ergriffenen Heiland bekennen, als von Hahn in solchen und ähnlichen Äußerungen geschieht? Man wird auch nach allem dem leicht begreifen können, warum Hahn im Leben wie im Tode - einzelne Stunden der Anfechtung abgerechnet, die keinem Christen erspart bleiben - eine Heiterkeit und Gemütsruhe bewahrte, welche eben nicht sehr häufig angetroffen wird. Ähnliche Wahrnehmungen konnte man aber auch noch bei allen machen, die wirklich in seine Fußstapfen traten. Sie hatten immer ein aufgeräumtes, zufriedenes, in ihrem Gott und Heiland vergnügtes Wesen an sich; und wenn man den sog. "Michelianern" schon so oft nachgesagt hat, daß sie eine übertrieben ernste, finstere und mürrische Art an sich haben und namentlich auch - weil sie von der Selbstgerechtigkeit nicht loszukommen wissen - nicht recht freudig dem Tod entgegengehen können, so ist hierauf zu entgegnen, fürs erste, daß solche Behauptungen sich eher sehr oft als unwahr erweisen, und fürs zweite, daß es allerdings wie überall so auch in dieser Gemeinschaft selbstgerechte und unlautergesinnte Menschen gibt, daß man aber diese eben nicht für Vertreter der Hahnschen Richtung halten darf.

Hiernach bildet nun der Glaube an den für uns gestorbenen und auferstandenen Erlöser die einzig richtige Grundlage für die Bekehrung des Sünders, welcher auch, solange er Sünde und Unvollkommenheit in sich trägt, also zeitlebens durchaus einen nötig hat, der das für uns ist, was wir noch nicht sind, und uns das gibt, was uns fehlt, und was wir sonst überall vergeblich suchen würden. - Und diese allgemein christlichen Wahrheitsgedanken wußte Hahn jederzeit auch trefflich zu verwerten und auf die verschiedenen Fälle, die ihm in der Seelenpflege vorkamen, anzuwenden. Dies erhellt zum Teil schon aus dem zuletzt angeführten Liedern, welchen man leicht noch viele andere hätte beifügen können, z.B. das an einen Christen, dem es an der rechten Glaubensfreudigeit fehlte, gerichtete Lied, wo es unter anderem heißt: "Gesetzlich kann dein Zustand sein, und dieses stehet nicht gar fein an einem alten Christen...Du sinkst nicht ins Erbarmen ein, willst durch dich selber selig sein...In unsrer Schwachheit will allein der Heiland groß und herrlich sein ...". Zum Beleg des eben gesagten sei noch erwähnt, was er unter Bezugnahme auf Mt 5,8 an ein jüngeres Gemeinschaftsglied schreibt: "Eines solchen reinen Herzens können alle Menschen teilhaftig werden; ich wüßte nicht, wen man ausschließen sollte, bei dem es nicht möglich wäre. Also ist es auch bei dir, mein Lieber, eine Möglichkeit. Doch das sollst du wissen, daß es durchaus Gottes Sache und Gabe ist, die sich allerdings der Mensch nicht geben oder erwerben kann. Wer einen Zug dazu fühlt, ist glückselig; er folge ihm und sei ihm treu. Denn ohne diesen ist alles Rennen und Laufen vergeblich, und es liegt durchaus nicht am eigensinnigen Wollen noch am eigenwirksamen Laufen, sondern am Kraftzug des Gotteserbarmens. Wer gerettet sein will, muß in dieses Gotteserbarmen einsinken. Eigene Vorsätze, eigene Anstrengungen und Bußübungen reichen nicht hin, sondern ein sanftes, armes Schreien der Seele aus der tiefsten Tiefe, aus dem tiefsten Abgrunde des Gottesbedürfnisses, da die Seele ihn nimmer entbehren kann noch will. Aber auch das ist Gottes Werk, Gottes Zug und Arbeit seiner Gnade. Sinke also auch Du, mein Bruder, in dieses Gotteserbarmen."

Wenn nun aber Hahn in dieser Weise auf Grund der Heiligen Schrift (Joh 6, 29.44.65; 15, 2; Röm 3,23; 8, 3.4; Phil 2, 13; Kol 2, 12 usw) das gänzliche Unvermögen der sich selbst überlassenen menschlichen Natur und die absolute Unentbehrlichkeit der Gnade aufs entschiedenste geltend macht, so warnt er allerdings auch mit großem Ernst vor dem schädlichen Mißbrauch der Lehre von der Versöhnung und Rechtfertigung. "Wer nach der wahren Gerechtigkeit, die zum Eingang ins Lichtreich erfordert wird, hungert und dürstet, erkennt aber dabei in sich viel Naturfinsternis und alle Arten von Sünden, haßt sie jedoch, wie Gott sie haßt, und sehnt sich immer stärker nach Licht und Freiheit, wird aber dessenungeachtet immer mehr Verderben gewahr, wird auch öfters von Schwachheiten übernommen und überwältigt, bekümmert sich dann, daß er fast untröstlich ist und hat dennoch den herzlichsten Wunsch, auch einmal los zu werden, - ein solcher darf sich trösten und darf getröstet werden damit: Jesus ist dein Fürsprecher bei dem Vater; er ist die Versöhnung für deine Sünden; er bittet für dich, daß der Vater Geduld mit dir haben wolle, denn er will noch etwas Rechtes aus dir machen, weil Wille und Lust darnach in dir ist, und was derlei Zusprüche mehr sein mögen. Bei einem solchen sind sie angelegt, ein solcher macht rechten Gebrauch davon. Wer aber bei seinen Schwachheiten anfängt, gleichgültig zu werden und sich dabei des Versöhners und der Versöhnung tröstet, der wartet nicht darauf, bis es Gottes Geist tut, sondern er raubt und reißt an sich, was ihm nicht gehört, und es kommt mit ihm leider immer mehr dahin, daß auch Bosheitssünden von ihm geübt und geduldet werden. Nun tritt er aus der Lichtgemeinschaft Gottes, und die Kraft des Blutes der Versöhnung kann nichts mit ihm ausrichten; besinnt er sich nicht bald, so wird das Letzte mit ihm ärger denn das Erste war. O daß es doch nicht so viele Seelen der Art geben möchte! Ach, wie viele machen aus der Versöhnungs- und Rechtfertigungslehre ein Handwerk, d.h. sie reden jahraus jahrein nur einseitig davon, und begehren nicht von Herzen die Veränderung, die daraus erfolgen muß, wenn man den rechten Gebrauch davon macht. denn was hülfe es, immer Arznei einnehmen und keine Diät beobachten, sich immer wieder krank essen und also krank bleiben? - Ich weiß es gar wohl, daß die Lehre von der Versöhnung und Rechtfertigung der Grund des wahren Christentums ist; aber das weiß ich auch, daß die, welche einseitig dabei stehen bleiben und immer viel davon sprechen, meistens beim ewigen Grundlegen stehen bleiben und immer Grund legen und doch nie recht legen, weil sie sonst auch darauf bauen würden. Sie machen darin den Hauptfehler, daß sie den Grund nicht auf den Felsen legen, weil sie nicht gewohnt sind, tief genug zu graben. Darum ist all ihr Tun immer zu oberflächlich...Meist verbergen die Seelen unter jenen köstlichen Lehren, die sie preisen, aber auch nur oberflächlich verstehen, einen Schelm, nämlich den feinen fleischlichen, irdischen Sinn. Sie besorgen immer, wenn sie recht in das wahre Wesen des Christentums eindrängen, möchten sie zu geistlich werden und nicht mehr gut fortkommen auf Erden. Das ist ein schändlicher Tuck an solchen, welche Kinder Gottes sein und heißen wollen. Diese mißbrauchen in vielen Dingen für sich und andere die edle Lehre von der Versöhnung und von der Rechtfertigung durch Christum" (System). "Träume sind es, sich einzubilden, Vergebung der Sünden zu haben, ohne in der Lichtgemeinschaft mit Gott durch Christus zu stehen. Meinung ists, selig werden zu wollen ohne Geburt aus Gott, ohne den Geist und Sinn Jesu. Die Sünde, die man liebt, wird nicht vergeben."

Mit großem Nachdruck, aber gleichfalls in völliger Übereinstimmung mit der Heiligen Schrift weiß Hahn namentlich immer wieder darauf hin, wieviel daran gelegen sei, welchen Gebrauch der Mensch von seinem Willensvermögen, insbesondere von der ihm anerschaffenen Wahlfreiheit vom Anfang bis zum Ende seines Laufes macht (Mt 16, 24; 23, 37; Joh 5, 40; 7, 17; vgl Ap 7, 15; Off 22, 17). Er zeigt, wie der von Natur so schwache und unmächtige menschliche Wille durch die vorlaufende Gnade Gottes Anregungen der mannigfältigsten Art empfängt, wie die Gnade (nach Tit 2, 11.12) jeden Menschen zieht und züchtigt wie ein Vater seinen Sohn, und wie die allmächtige Kraft Gottes selbst sich von einer Zeit zur andren dem schwachen Menschenkind anbietet, welches dieselbe nur im Glauben ergreifen und die empfangene Gnade treu bewahren darf, um immer mehr Gnade zu empfangen (Mk 9, 23; Joh 1, 9.12; 6, 35.47; 14, 12; 1Joh 5, 4; Röm 1, 16; 3, 22; Phil 4, 13; Mt 13, 12; Off 3, 11). Aus der innigen Überzeugung, wie viel an einem kräftigen Willensentschluß, an rückhaltloser Hingabe unsres Willens an den göttlichen Willen gelegen sei, sind denn auch jene dringenden und herzlichen Ermahnungen geflossen, die sich in so großer Menge in seinen Schriften finden, daß man doch ernstlich danach ringen möge, durch die enge Pforte einzudringen, daß man allen Fleiß anwende, eine Tugend um die andre, eine Geistesfrucht um die andere darzureichen usw. Es sei hier statt alles andern nur an die zwei Lieder erinnert: "Wenn du willst ganz bekehret werden..." und: "Am Willen liegt viel, wer will, kann sich bekehren..." sowie an die Betrachtung des Hebräerbriefes, in welcher er u. a. bemerkt: "Man braucht uns nicht erst zu sagen, daß wir ohne Christus gar nichts können als sündigen; es ist uns wohl bekannt. Aber das muß man sich auch nicht erdreisten, uns zu bereden, daß wir nicht mit dabei sein müssen, wenn Jesus alles das in uns und durch uns tut, was er getan haben will, oder daß wir dabei nicht mitwirken sollen. Die Gnade tut freilich alles, aber wenn wir ihr nicht treu sind, kann sie in uns nichts tun noch ausrichten. Sobald du glaubst, daß Jesus alles für dich getan habe, glaubst du recht. Sobald du aber glaubst, du habest nichts zu tun beim Seligwerden, so glaubst du gar nicht biblisch und bist irre; denn alles muß auch in dir und durch dich im Kleinen vollbracht und durchgemacht werden, und da mußt du also mit dabei sein und mitwirken, aber freilich alles in der Kraft der Gnade und im Trieb seines Gottesgeistes."

Daß die Notwendigkeit der Heiligung von Hahn durchaus nicht, wie man schon behauptet hat, "einseitig" gelehrt oder in einer solchen Weise geltend gemacht wird, daß die Lehre von der Versöhnung und von der Rechtfertigung durch den Glauben darüber zu kurz käme, daß vielmehr auch die letztere in den Hahnschen Schriften ganz und voll zu ihrem Recht kommt, geht aus allen den Stellen, die oben in dieser Rücksicht angeführt worden sind, gewiß zur Genüge hervor. Allerdings aber hat er die Heiligungslehre - und zwar mit gutem Grund - mit aller Entschiedenheit auf den Leuchter gestellt. Er hat dies zum Teil wohl auch im Blick auf die fleischliche Sicherheit und Trägheit der vielen, die sich damals zu den Frommen zählten, aber das Wort vom Kreuz infolge eines entsetzlichen Mißverständnisses zu einem Ruhepolster für den alten Menschen machten, sowie überhaupt im Blick auf den in der sogenannten Christenheit herrschenden Weltsinn und Leichtsinn, auf die allenthalben im Schwange gehende Weichlichkeit und Genußsucht, Lichtscheue und Gottentfremdung. Vor allem aber fand er sich durch das ganze Wort Gottes, das sich in diesen Dingen unmißverständlich und deutlich genug ausspricht, sowie durch die eigene Erfahrung darauf hingewiesen, daß wir der göttlichen Natur teilhaftig werden müssen, um in das Reich Gottes eingehen zu können, und daß unsere Erneuerung zum Bilde Gottes der eine, große Hauptzweck unsres Erdenlebens sei. Man müßte in der Tat das, was der Herr in der Bergpredigt und auch in anderen seiner Reden lehrt, und was die Apostel in allen ihren Briefen uns ans Herz legen, noch nie recht beachtet und begriffen haben, wenn man in Abrede stellen wollte, daß Hahn mit vollem Recht darauf dringt, wir müssen Geistesmenschen, Gottesmenschen werden, die zu allem guten Werk geschickt sind, wenn wir unseren Christennamen nicht vergeblich führen wollen. Denn "wer Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein". Nur die, welche "geistlich gesinnt sind", welche "gesinnt sind, wie Jesus Christus auch war", welche "in sein Bild verklärt werden von einer Klarheit zur andern", welche "den Willen tun seines Vaters in Himmel" (und "das ist der Wille Gottes, unsre Heiligung") - nur die sind es ja, die er wirklich als die Seinen anerkennen kann. Gott wird auch unsre sterblichen Leiber eben durch seinen uns innewohnenden Geist lebendig machen (Röm 8, 11), und "Christus in uns" ist die Hoffnung unsrer Herrlichkeit (Kol 1, 27).

Wie Hahn diese und ähnliche Schriftwahrheiten des weitern entwickelt hat, kann hier nicht im einzelnen dargelegt werden. Übrigens spricht er sich bei jeder Gelegenheit über die Herrlichkeit der Seelen, welche ernstlich danach ringen, durch die enge Pforte einzugehen, welche unverdrossen dem ihnen vorgehaltenen Kleinod nachjagen und allen Fleiß anwenden, ihren Beruf und ihre Erwählung fest zu machen, um einst als Glieder der Brautgemeinde Jesu Christi heilig, untadelig und unbefleckt vor ihm dargestellt werden zu können, - er spricht sich hierüber in so geistvoller Weise aus und fördert eine solche Fülle herzerquickender, geisterfrischender und geisternährender Gedanken zutage, daß gewiß jeder Christ, dem es wirklich allen Ernstes um Heiligung zu tun ist, die betreffenden Stellen in den Hahnschen Schriften nur mit hoher Befriedigung wird lesen können. -

Nun muß aber hier, da es sich um die Erneuerung und Wiederherstellung der Menschheit handelt, noch auf einen weiteren Punkt eingegangen werden, in betreff dessen Hahn und seine Gesinnungsgenossen schon öfters eines schweren Irrtums beschuldigt worden sind. Es ist

Die Lehre von den letzten Dingen

Man hat schon oft und viel behauptet, daß in gewissen christlichen Kreisen die "letzten Dinge" einseitig und mit einer besonderen Vorliebe behandelt und andere wichtigere oder wenigstens ebenso wichtige Punkte darüber vernachlässigt werden. Dies mag nun wohl hin und wieder zutreffen. In Hahns Schriften - und ebenso unter denen, die mit dem Inhalt derselben sich wirklich vertraut gemacht haben - wird zwar der fraglichen Lehre das ihr gebührende Gewicht beigelegt; wollte man jedoch behaupten, dieselbe werde auf Kosten anderer Wahrheiten als eine Art Liebhaberei in den Vordergrund gestellt, so wäre dies nachweislich unrichtig. Dagegen dürfte richtig sein, daß nicht wenige, auch im übrigen ernstgesinnte Christen die betreffende Lehre nur zu sehr auf der Seite stehen lassen, z.B. das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung des Johannes, als ein unverständliches, gar zu unseriöses Buch kaum einer Beachtung würdigen und, um ja recht nüchtern zu bleiben - vielleicht aber auch noch aus anderen Gründen, die sie sich selbst nicht so recht klar machen mögen - es vorziehen, ihre Aufmerksamkeit überhaupt nicht sonderlich auf die großen und bedeutsamen Dinge, die noch zukünftig sind, hinzulenken. Ja auch in der Hahnschen Gemeinschaft ist derzeit das Fragen und Forschen nach dem, was die Gemeine Jesu Christi in näherer oder fernerer Zukunft zu erwarten hat, durchaus nicht im Übermaße vorhanden. Eher findet das Gegenteil statt. "Da der Bräutigam verzog, wurden sie alle schläfrig und entschliefen" - dieses Wort geht in trauriger Weise von einer Zeit zur andren in Erfüllung.

Wie man übrigens vor einer unnüchternen Behandlung der Lehre von den "letzten Dingen" sich in acht zu nehmen habe, das hat schon der Herr selber Mt 24, 23-26, sowie auch der Apostel Paulus im 2. Brief an die Thessalonicher (2, 1 ff; 3, 6 ff) deutlich ausgesprochen, und was uns hier an das Herz gelegt wird, das wird sich ein jeder Christ, der eine wirkliche Hochachtung vor Gottes Wort hat, unter allen Umständen gesagt sein lassen. Aus dem vorangestellten Lebensabriß Hahns ist zu ersehen, daß der letzte seiner Briefe, den er unvollendet lassen mußte, noch eine hierauf bezügliche Warnung enthält; und ähnlich hat er sich sonst öfters ausgesprochen. "Voreilig mag ich nicht sein", schrieb er z.B. im Jahr 1809 an einige Freunde in Amerika, "mit allerlei unzeitigen Deutungen; denn das ist nie die Sache echter Weisheitssöhne gewesen, welche gewohnt sind, eine Sache reif zu überlegen, ehe sie reden und den Leuten den Kopf warm machen...Die großen Staatsveränderungen in unserem Weltteil sind nichts Neues unter der Sonne, obgleich sie uns zu unserer Zeit neu sind. Diese beweisen uns die Nähe der letzten Zeit nicht...Es gibt Menschen, die es kaum erharren können, bis alles drunter und drüber geht. Wo daher irgendein Vorgang nur die geringste Ähnlichkeit mit den im prophetischen Wort geweisagten Ereignissen zeigt, da ist des Prophezeiens und Vermutens kein Ende. Aber da die Erfüllungen nicht kommen und eintreffen, hat es keine guten Folgen für das Christentum, denn es wird lächerlich gemacht. Die Kinder der Weisheit wollen dem Reich Gottes nicht zur Schande gereichen; daher lasen sie sich zuerst auf ihr eigenes Verderben führen..." - Sollten wir nun aber, um nur ja recht nüchtern zu bleiben, die vielen Ermahnungen der Heiligen Schrift, daß wir das Zukünftige fleißig ins Auge fassen und gebührend im Auge behalten sollen, in den Wind schlagen? Sollen wir nicht den Knechten gleich sein, "die auf ihren Herrn warten"? Sollen wir nicht "warten und eilen auf die Zukunft des Tages des Herrn", auf die "selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilandes Jesu Christi"? Sollen wir nicht unter denen erfunden werden, die "seine Erscheinung lieb haben"? Sollen wir nicht "die Zeichen der Zeit prüfen"? Oder sollen wir mit jenem bösen Knecht sprechen: "Mein Herr kommt noch lange nicht"? Sollen wir nicht mit der ganzen Brautgemeinde des Herrn rufen: "Komm, ja komm, Herr Jesus"? (Lk 12, 36; Tit 2, 13; 2.Petr 3, 12; 2.Tim 4, 8; Mt 16, 3; 24, 23-26.48; Off 22, 20) Spricht sich nicht namentlich in dem zuletzt angeführten Ruf ein starkes Verlangen, eine innige Sehnsucht aus, daß der Herr baldmöglichst vor aller Welt seine Herrlichkeit offenbaren, dem gegenwärtigen Weltzustand ein Ende machen und den Zustand der Vollendung herbeiführen möchte? Und ist es möglich, daß, wer ein solches Verlangen in sich trägt, nicht auch oft und gerne sein Nachdenken auf die sog. "letzten Dinge" richte? Das haben Hahn und seine Gesinnungsgenossen allerdings getan, und wer ihnen das zum Vorwurf machen wollte, der sehe zu, wie er mit den eben angeführten Schriftstellen und vielen anderen, die einen ähnlichen Inhalt haben, zurechtkommt.

Mit allem dem soll selbstverständlich nicht geleugnet sein, daß einzelne Fälle vorkommen können und schon vorgekommen sind - es werden uns solche sogar unter den nachfolgenden Lebensbildern begegnen -, daß, wenn die Hahnsche Gemeinschaft sich im ganzen von Einseitigkeiten in der fraglichen Beziehung ferne gehalten hat, gleichwohl etliche ihrer Glieder um einen oder einige Schritte zu weit gegangen sind und die Lehre von der Zukunft Christi und seines Reiches wirklich als eine Art Liebhaberei behandelt haben. Übrigens wissen wir ja, daß schon die ersten Christen und selbst die Apostel sich die Wiederkunft des Herrn als ziemlich nahe bevorstehend dachten, ohne daß diese Erwartung auf Lehre oder Leben der Christengemeinde im ganzen einen nachteiligen Einfluß ausgeübt hätte.

Bei den "letzten Dingen" handelt es sich namentlich um die Auferstehung der Toten, um Christi Wiederkunft und das tausendjährige Reich, um das Endgericht und die Wiederbringung aller Dinge.

Auf Grund der Heiligen Schrift hielt Hahn an der genauen Unterscheidung einer ersten und zweiten Auferstehung fest.

Schon in den Evangelien lesen wir von einer ersten Auferstehung, so in Mt 27, 52.53 und Joh 5, 25 - im Gegensatz zu Vers 28 und 29; ebenso in den Briefen der Apostel, namentlich in 1.Kor 15, 22-24 und 1.Thes 4, 16; desgl. Off 20, 4.5.

Es gibt also eine erste oder Auswahl-Auferstehung und eine zweite, allgemeine Auferstehung. Die Auferstehung der Auserwählten nahm ihren Anfang gleich nach der Auferstehung Jesu (Mt 27, 52.53). Es waren alttestamentliche Heilige, die damals aus den Gräbern hervorgingen. Ihnen sind seitdem ohne Zweifel viele Glaubenshelden aus dem neuen Bund nachgefolgt, und das wird so weitergehen, bis bei der Wiederkunft des Herrn die Märtyrer aus der antichristlichen Drangsal in großer Zahl auferstehen werden und damit die erste Auferstehung zum Abschluß kommt. "Selig ist der und heilig, der teilhat an der ersten Auferstehung: Über solche hat der andere Tod keine Macht; sondern sie werden Priester Gottes und Christi sein und mit ihm regieren tausend Jahre" (Off 20, 6). Wer Jesusähnlichkeit erlangt hat und ausgereift ist, darf auferstehen. Daß aber die einzelnen Menschen verschieden rasch ihrer Vollendung entgegengehen, ist einleuchtend und erfahrungsgemäß; denn die einen lassen es sich ernstlich angelegen sein, daß ihr innerer Mensch aus dem himmlischen Heiligtum stets neue Geistes- und Kraftzuflüsse empfange, während andere durch mannigfache Untreue, Schläfrigkeit und Lässigkeit den Trieb des Geistes in sich dämpfen, sodaß ihr innerer Mensch sich nie recht kräftig und gesund entwickeln kann.

"Deswegen", sagt Hahn, "geschieht die Auferstehung in verschiedenen Zeiten und in verschiedener Herrlichkeit und Jesusähnlichkeit. Je mehr sich eine Kreatur dem wiedergebärenden Jesusgeist widersetzt, je länger sie die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhält, desto länger hält sie das Königreich und Leben Gottes in ihr zurück, und ihre Auferweckung fällt in spätere Zeiten. Ferner: je mehr eine Seele, die den Samen der Wiedergeburt in sich trägt, das Leben Jesu in seiner Entwicklung in ihr hindert, desto später kommt sie zur Ausgeburt und Auferweckung und wird auch nicht so herrlich und jesusähnlich. Je mehr aber der Mensch geistlich gesinnt und eingekehrt ist, desto besser geht die Wiedergeburt in ihm von statten. Hat die Seele den Wiedergeburtssamen, Geist, vom Geist gezeugt, in sich, so ist ein zur Auferstehung und zur Jesusähnlichkeit reifender Gott in ihr. Je mehr und je beharrlicher die Seele nun in Christus und in der Lichtsgemeinschaft Gottes bleibt, desto bälder wird dieser Herrlichkeitssame ausgeboren."

"Die Auferstehung im Geistleib ist Ausgeburt. Wer dies Kleinod erreicht, ehe Jesus mit seiner Braut Hochzeit hält, kommt zur ersten Auferstehung, also zur Braut selbst. Mithin ist er ein Erstling der Herrlichkeit. Wer aber so weit zurückbleibt, daß er bis dahin keinen in Jesusähnlichkeit ausgeborenen Lichtsleib hat, kann nicht zum "ersten Erstling" kommen. Bei einem solchen sind wahrscheinlich auch mutwillige Versäumnisse vorgekommen; er hat sich zuviel mit allerlei unnötigen Dingen abgegeben und den Gesuchen seiner Natur nicht genug widerstanden: kurz, er ist kein Überwinder geworden, ja dieser kann gar einige Macht über ihn bekommen."

In einem Briefe Hahns lesen wir über 2.Kor 5, 1-5: "Das Haus, das nicht mit Händen gemacht ist und in das Lichtsreich taugt, ist ein Lichtsleib, und nach diesem verlangt uns herzlich. Wir sehnen uns, mit dieser unsrer Geistesbehausung überkleidet zu werden; ja, es ist unser Wunsch, daß unser finsterer Leib möchte verwandelt werden. Dies könnte geschehen, wenn wir in unserer Leibeshütte von dem Tag des Herrn ergriffen würden. Erlebten wir diesen Tag, so müßten wir nicht sterben, nicht aus dem Reisezelt ausziehen und eine kleine Zeit bloß sein, bis wir in der Auferstehung im Lichtsleib erscheinen könnten. Es würde an demselben Tage das Sterbliche des alten Leibes, des gebrechlichen Wanderzeltes, von dem Kraftleben des neuen Leibes durch eine plötzliche Verwandlung verschlungen. Erleben wir aber den Tag des Herrn und also diese Verwandlung und Überkleidung nicht, so freuen wir uns indessen der Auferstehung und wünschen sehr, zu diesem Ziel und Kleinod zu kommen."

Zu 1.Thes 4, 13 ff. bemerkt er u. a.: "Alle Erstlinge, sei es im Reich des Lichts oder der Finsternis, kommen zur ersten Auferstehung. Die Erstlinge des Lichts, welche die Wiederkunft Christi im Leibesleben erleben, werden zum Teil gleich mit den Auferstandenen hingerückt werden in die obere reine Luftregion und daselbst in lauter schönen männlich-jungfräulichen Leibern der Herrlichkeit tausend Jahre lang bei dem Herrn sein allezeit. Diejenigen dagegen, die auch zur Braut des Herrn gehören, aber beim Kommen Jesu in ihren sterblichen Leibern zurückbleiben, sollen als ein heiliger Same noch eine Zeitlang im tausendjährigen Reich auf Erden sein.

Sie werden ein henoch-ähnliches Dasein haben und den Einfluß der unsichtbaren Gemeinde besonders kräftig erfahren, um segensreich auf andere wirken zu können. Nach und nach werden aber auch sie entrückt und verwandelt werden und dann in Geistleibern zu ihrer hohen Bestimmung gelangen, nämlich als Brautglieder an die Hochzeitstafel des Herrn."

"Welche Seligkeit ist es doch," schreibt er einmal, "in Christus zu leben und den Samen der Herrlichkeit in sich zu tragen! Stirbt ein solcher Mensch, so kann er von dem andern Tod nicht so gehalten werden, daß ihn dieser erst am Tage des Gerichts hergeben muß; es wäre denn, daß der Mensch das edle Leben Jesu wieder ganz verloren hätte. Ist dies jedoch nicht geschehen, so wird der im Menschen neugeborene Geist alle wesentlichen, zum neuen Leibe gehörigen Bestandteile in der Verwesung anziehen. Der Tod wird eine solche Seele nicht halten können, weil ihre Lebenswurzel im Geist der Herrlichkeit gegründet ist und ihr Seelenmagnet von unten und oben anziehen kann. Der, der den Schlüssel des Todes und der Hölle hat, ist dem Samen nach in ihr. Der Geist Jesu wird mit einer solchen Seele zur Ausbildung, Volljährigkeit und endlich zur Auferstehung eilen."

Auf die Frage, wodurch die Auferstehung der Toten bewirkt werde, antwortete Hahn im System seiner Gedanken: "Die Auferstehung zum Licht und Leben geschieht durch den Geist der Herrlichkeit bei denen, die ein Geistesleben aus Jesu haben; und diese Auferweckung ist der geistliche Geburtstag des wahren Christen. Wer den Geist und Sinn Jesu nicht hat, nicht wahrhaft durch den Geist Jesu neugeboren wird, kann auch nicht durch ihn auferweckt werden; denn wo der Same des Lebensgeistes Jesu fehlt, da ist kein Lebenskeim vorhanden und darum auch die Auferweckung anderer Art. Die Seele hängt nur am Lebensbaum des Geistes der Ewigkeit, und so geschieht die Auferweckung durch ihn schrecklich und gewaltig zum Gericht. O Gott, welch ein Entsetzen wird das für die Seele sein! Sie wird ins Sein gerufen, und möchte doch lieber nicht sein; denn nach der Auferstehung kann und muß sie mit Leib und Seele leiden."

Es wird in jener Welt viele Stufen der Seligkeit und ebenso auch viele Stufen der Qual geben. Schon im "ersten Interimsstand", in der Zeit von der Ablegung der Leibeshütte bis zur Auferstehung, werden sich bei den Seligen wie bei den Unseligen große Unterschiede zeigen. "Wenn eine Seele im Tun und im Leiden bis an ihr Ende Glauben gehalten hat," sagt Hahn, " sollte sie dann nicht zu den Vollendeten gehören? Wozu sollte sie noch im Totenreich von dem höllischen Reich angefochten werden? Und wenn eine Seele hier von nichts gehalten und gehindert werden konnte, dem Kleinod nachzujagen, was sollte sie dort halten und hindern können? Wer allem gottwidrigen Wesen abstarb, kann vom Augenblick des Todes an selig sein. Er wird Ruhe haben von all seinem Arbeiten und Leiden; frei kann er als Überwinder reisen wie sein Herr und Glaubensvorgänger Jesus. Der Zustand der Seele, die ein schwachgeistliches Leben hat, bei der noch Abstreifungen und Reinigungen nötig sind, ist freilich ein ganz anderer. Sie kann auf dem Wege durch Tod und Hölle viel Ungemach, viele Beleidigungen vom anderen Tode erfahren; sie kann gehalten und eingekerkert werden. Sie kann immer nicht durch das Feuerschwert des Cherubs kommen, bis sie ihre völlige Reinigung begehrt und sich in das völlige Liebeserbarmen Gottes ersenkt. O wie ungleich sind die Seelen in diesem Stück! Manche finden und geben sich bald, manche aber erschweren sich die Sache durch tausend Rechthabereien und tief eingewurzelte, ungöttliche Dinge recht sehr. Gott helfe uns doch dazu, daß wir hier in diesem Leben alles aufsuchen und auffinden, was ins Sterben und Verleugnen gehen muß; denn drüben hält es sehr hart, bis alles abgelegt ist." - Aber auch nach der Auferstehung, im "zweiten Zwischenstand", wird große Verschiedenheit herrschen; es wird viele Grade der himmlischen Herrlichkeit und Seligkeit wie auch der höllischen Verdammnis geben. "Je nachdem einer vorzüglich böse gewesen," schreibt Hahn, "ist er dem Satan näher, so wie die Höherseligen der Stadt Gottes und Gott, unserem Herrn, näher sein werden. Je näher bei dem Herrn, desto seliger; je näher dem Satan, desto verdammter. Es wird alles gerecht und weislich ausgeteilt sein und wird im Ganzen um kein Haar fehlen. Des mag sich ein jeder versichert halten und sich danach richten. In den Feuersee kommen alle Verdammten und leiden da Pein nach Leib und Seele, nur daß welche tiefer und welche nicht so tief hineinkommen. Die ein schwaches geistliches Leben oder wenigstens ein redliches, reines Verlangen nach Gott haben, kommen nicht in den Feuersee, sondern an die Grenzen deselben, an die Grenzen der neuen Erde, wo sich die beiden Reiche scheiden. Aber alle auf der neuen Erde, auch die geringsten Seligen, die das schwächste Geistesleben hatten, genießen Vorzüge, teils durch ihren Aufenthalt im Lichtelement der neuen Erde teils durch die Priesterkönige daselbst, die ihnen Lebenswasser, Lebensfrüchte oder auch nur Lebensblätter zur völligen Genesung und Volljährigkeit, zur Erlangung der Geistleiblichkeit und Jesusähnlichkeit mitteilen können. Welche Vorzüge vor den Unseligen im Feuersee, denen zum Teil Ewigkeiten lang das alles mangelt, die an dessen Statt Qual und Leid eingeschenkt bekommen nach ihrem Sündenmaß!"

"Selig, wer die Gesinnung Jesu hat! Er ist ein Sohn der oberen Mutter, des neuen Jerusalem, und folglich ein Bürger allda. Zu dem Sinn Jesu gehört aber viel. Die, welche Bürger auf der neuen Erde werden sollen, müssen viel von demselben haben; und die, welche in dem neuen Jerusalem Bürger werden sollen, müssen ihn ganz haben. Die aber nur wenig von dem Sinn und Geist Jesu haben, werden auf der Erde bloß Beisitzer, Kranke und Bettler, nur Fremdlinge und Knechte sein; und die garnichts davon haben, werden "draußen" sein - und woanders als im Feuersee? Je jesusähnlicher in Sinn und Geist, desto jesusähnlicher wird man dort an Herrlichkeit und Klarheit sein. Nach der Fähigkeit des geistlichen Lebens und der Ähnlichkeit Jesu werden die Stände dort höher oder niederer sein. Je mehr einer hier den Geist Jesu in sich wirken läßt, desto mehr wird er in sein Bild verklärt; und je mehr einer Gott dient in Heiligkeit und Gerechtigkeit und Wahrheit im Geist und Sinn Jesu, desto näher ist er dort dem Rang jener Könige und Priester in der Stadt Gottes. Die Herrlichkeit und Seligkeit wird also auf der neuen Erde sehr ungleich sein; das Erbrecht am neuen All wird gar verschieden sein. Wer alles überwindet, wird alles ererben; wer vieles überwindet, wird viel ererben; und wer gar nichts überwindet, wird gar nichts ererben."

"Dreifach wird einst dort gekrönet, wer ein Überwinder ist und mit reinem Herzen dienet seinem Heiland Jesus Christ...Diese Würde laß dich reizen! Seele, laß die arme Welt um das Nichts der Erde geizen, suche das, was ewig hält! Kronen jener Herrlichkeiten bleiben in die Ewigkeiten." (erster Liederband, Nr 73)

Die Wiederkunft Christi, nach der sich die Gemeinde der Lebzeit je länger je mehr sehnt, darf ganz gewiß erwartet werden. Der Herr Jesus selbst hat sie in Aussicht gestellt, und von allen Aposteln, in allen Schriften des neuen Testaments wird eindeutig bezeugt, daß der erhöhte Herr wiederkommen und sein auf Erden angefangenes Erlösungs- und Neuschaffungswerk vollenden wird. Wann das geschehen wird, kann nicht genau bestimmt werden. Alles neugierige Berechnen vom Jahr oder Tag des Kommens Jesu hat sich bisher als unrichtig erwiesen und wird sich in Zukunft nicht anders erweisen. Mt 24, 42 sagt der Herr: "Wachet, denn ihr wisset nicht, welche Stunde euer Herr kommen wird"; und Lk 12, 40: "Darum seid auch ihr bereit, denn des Menschen Sohn wird kommen zu der Stunde, da ihrs nicht meinet". - Gewisse Zeichen, die der Wiederkunft Christi vorangehen, sind uns in der Heiligen Schrift geoffenbart. Sie lassen uns nicht im Unklaren darüber, daß das Ende dieser Weltzeit nahe bevorsteht. Israel bemüht sich mit Erfolg, in das "gelobte Land" zurückkehren zu dürfen. Die christliche wie auch die antichristliche Entwicklung der Menschheit schreitet unaufhaltsam vorwärts; der satanische Einfluß im Leben der Völker nimmt zu und zeitigt bereits bedenkliche Früchte. Je mehr das Gute und das Böse seiner Reife entgegengeht, desto mehr wird Christus und seine Sache gehaßt und verfolgt. Schließlich wird die Gemeinde Jesu von den Mächten der Finsternis in einer Weise bedrängt werden, daß sie vor Menschenaugen rettungslos verloren zu sein scheint. Aber dann wird Christus eingreifen. Sichtbar wird er mit seiner Braut erscheinen in Herrlichkeit und dem Schreckensregiment des Antichristen ein jähes Ende bereiten, die Mächte der Tiefe überwinden und sein Friedensreich aufrichten.

Nun beginnt die tausendjährige Hochzeit des Lammes, bei der die Brautgemeinde besondere Herrlichkeitsmitteilungen empfängt und dadurch zum Leib Christi wird. "Diese Hochzeit findet im oberen Luftkeis statt, schreibt Hahn, "ebenso unsichtbar, wie jetzt das Reich der Finsternis in der Luftregion unsichtbar herrscht. Vielerlei Seelen werden bei derselben zu sehen sein: erstens die Braut des Herrn in auferstandenen Lichtsleibern; zweitens die noch nicht zur Auferstehung gediehenen Gespielinnen der Braut, die klugen Jungfrauen; drittens die Gäste, die zwar selig, aber nicht heilig sind, hier also Himmelsmanier erst lernen und zur Auferstehung zubereitet werden, jedoch nicht mehr zur ersten, sondern zur zweiten; und viertens die Zuschauer, die hienieden dem Reich Gottes nicht fern und abhold waren und sich manchen Gläubigen zum Freund machten - dort empfangen sie nun von demselben gleichsam etwas von der Tafel."

Gleichzeitig wird auf Erden als segensreiche Wirkung dieser Hochzeit das tausendjährige Reich in Erscheinung treten, welches Abschluß und Vollendung des Reiches Gottes in der gegenwärtigen Welt und zugleich Überleitung zur zukünftigen Welt seien wird. Hahn bemerkt dazu: "Dieses Reich ist alsdann sichtbar auf Erden. Die sichtbare Welt ist ja der Offenbarungsschauplatz zweier unsichtbarer Welten, da jede sich durch Werkzeuge und Mittelsubstanzen offenbaren will. Wenn nun tausend Jahre lang der Satan, die erste Mittelsubstanz des Zorns Gottes, und sein Anhang in den Abgrund verschlossen sein werden und dagegen Christus, die erste Mittelsubstanz der Lichts- und Liebesoffenbarung, mit seinem Gefolge von auserwählten Gläubigen und Berufenen erscheinen wird, dann wird es tausend Jahre lang herrlich sein auf Erden; denn das Böse wird sich zurückziehen, fliehen und verbergen müssen."

Eine Zeit des Friedens und des Segens wird anbrechen auf Erden. Mit der Gefangenschaft des Satans hört die Verführung der Völker auf. Aller Jammer, den er in Natur und Kreatur gestiftet, hat ein Ende, und das Gute, das er aufgehalten hat, kann sich frei entfalten. "Die Völker werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen; es wird kein Volk wider das andere ein Schwert aufheben, und werden hinfort nicht mehr kriegen lernen" (Jes 2, 4). Wahrlich ein goldenes Zeitalter! Hahn sagt darüber: "Während des tausendjährigen Hochzeitsfestes soll alles ruhen und feiern, auch das Land. Die Erde soll ihr Vermögen ohne viel Mühe, ohne saure Arbeit und Schweiß in paradiesischem Segen geben. Alles soll freiwillig wachsen, weil der Fluch, der auf den großen Acker der äußern Natur gelegt war, weg sein wird. Wie Gottes Fluchen ein Zurücktreten seines Segens und des Paradieses war, so wird nun sein Segen ein Fliehen des Fluches sein."

"Zu der Zeit wird auf Erden alles eine Gestalt haben, wie es einst vor dem Sündenfall im Garten Eden war. Wie in diesem das Paradies blühte und grünte, also wird dasselbe auch tausend Jahre lang auf der Erde grünen und blühen, und doch vor der Umschmelzung derselben nicht ganz zum Vorschein kommen; das reife, fruchtvolle, eigentliche Paradies wird in seiner völligen Ausgeburt erst auf der neuen Erde offenbar sein. In diesem tausendjährigen Sabbat aber wird es grünen und blühen. Alle Elemente werden in Harmonie und Ordnung sein; sie werden nicht mehr im Grimm widereinander streiten, so daß es bald zu naß bald zu trocken, bald zu kalt bald zu heiß ist. Die Tiere werden die Wildheit ihrer Natureigenschaften ablegen (Jes 11, 6-8); es wird nicht mehr so viel Ungeziefer erzeugt werden, auch werden nicht mehr so viele Krankheiten sein. - Eine reine Luft wird wehen; das Reinelement wird nicht mehr vom Fluch und Zorn Gottes zurückgehalten und zurückgetrieben. Alles wird gesegneter sein als vorhin, und es ist begreiflich, daß da die Menschen älter werden als heute (Jes 65, 20); alle Haushaltungen und Gesellschaften werden davon zeugen, daß ein anderer in der Luftregion wirkt und herrscht."

"Da der Satan in die Seelen der Menschen keinen Einfluß mehr hat und geistlichen Dingen die edelsten Anstalten getroffen sind, ja sogar der Herr selbst mit seiner Braut kräftiger denn je in die Seelen herniederwirkt: o wie schnell wird da die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi wachsen! Die Seelen, die in diesem Reich geistlich geboren werden, sind der erste Sohn Jesu und seiner Braut, also der "zweite Erstling" Gottes. Ganz Israel wird sich herzumachen und durch die Einwirkung des königlich-priesterlichen Geistes Jesu und seiner Braut zum Glauben, zum Leben und zur Herrlichkeit kommen. Wenn dann in dem Tempel, den gottesfürchtige Juden nach ihrer Rückkehr ins gelobte Land in Jerusalem werden gebaut haben, wieder allerlei Opfer gebracht werden, so wird solche gottesdienstliche Weise nicht mehr vor- sondern nachbildlich sein, und es wird nicht heißen: so wird sich einst das Opferlamm für unsere Sünden schlachten lassen, sondern es wird heißen: so hat sich der gekommene Messias zum Sünder und Sühnopfer für uns dahingegeben, und das und das hat es zu bedeuten. Darum wird diese Weise des Gottesdienstes belehrend und überzeugend sein und nach und nach aufgehoben werden - wie nämlich das jüdische Volk nach und nach zur wahren Erkenntnis Gottes und Jesu Christi kommen wird. Auch die Heiden werden durch das Judenheil und durch die ihnen zuteil gewordene Herrlichkeit gereizt und herbeigezogen werden, daß sie zum Glauben, zum Leben und zur Herrlichkeit Gottes kommen; und es werden der Braut Jesu, der in Geistleiblichkeit vollendeten Jesusgemeinde, Kinder geboren werden wie Tau aus der Morgenröte."

So herrlich es jedoch im tausendjährigen Reich sein wird: das Vollkommene ist noch nicht da. Die Heiligen werden noch im Glauben wandeln, nicht im Schauen; der Kampf mit der Sünde und dem Tod wird noch nicht aufgehoben sein. Der Ehestand wird bleiben, ebenso der Feldbau und andere rechtmäßige Arbeit. Neben den Kindern des Lichts werden auch irdischgesinnte Menschen leben; unter dem Weizen wird Unkraut zu finden sein bis ans Ende dieser Weltzeit. Vom Geist und Sinn Jesu erfüllte Regenten werden jedoch das Böse niederhalten und dem Guten aufhelfen. Man ist jedoch noch auf dieser Erde; die Vollendung kommt erst mit dem neuen Himmel und der neuen Erde.

Aus Off 20, 1-8 geht hervor, daß auch den im tausendjährigen Friedensreich Christi lebenden Menschen noch eine Prüfungszeit bevorsteht; denn ohne diese gibt es keine Bewährung und sittliche Vollkommenheit. "Wenn die tausend Jahre zu Ende sind", schreibt Hahn, "wird der Satan wieder eine kleine Zeit loswerden; denn er wird protestieren, als wäre er zu früh oder zu lange eingesperrt worden. Der Herr wird ihn also loslassen, daß er sein Sündenmaß vollmache, und sich dann mit seiner Braut und all den Seinen ins überhimmlische Wesen zurückziehen. Dort wird er sein, bis das neue Jerusalem, die Braut des Herrn, auf den neuen Zionsberg herniederfahren wird. Der Satan aber, der sich in seiner Gefangenschaft ja nicht gebessert hat, wirft seinen ganzen Grimm auf die Heiligen in Palästina und auf das Reich Gottes überhaupt. Er geht aus, den Gog und Magog zu verführen, und diese ziehen mit großer Macht gegen Jerusalem. Eine Menge gehässiger Feinde, daß man glaubt, die Erde habe sich aufgetan, umgibt nun das Heerlager der Heiligen und die geliebte Stadt. Aber was geschieht? Gott, der Herr, streitet selber für sein Volk. Es fällt Feuer vom Himmel und vernichtet die Feinde des Reiches Christi. Der Teufel, die alte Schlange, wird jetzt in den feurigen Pfuhl geworfen, da auch das Tier und der falsche Prophet sind; und sie werden gequält werden Tag und Nacht von Ewigkeit zu Ewigkeit." (Off 20, 9.10)

Das Feuer, das vom Himmel fällt, verursacht zusammen mit dem Feuer im Innern der Erde den großen Weltbrand, von dem der Apostel 2.Petr 3, 10 redet. Und wie dadurch die Naturwelt geläutert und in eine herrliche Lichtwelt und einen schrecklichen Feuersee geschieden wird, so wird durch das nun beginnende Weltgericht auch die Menschheit, die in der allgemeinen Auferstehung aus den Gräbern hervorgegangen ist, geschieden in Gute und Böse. Die Verdammten gehen sodann in die ewige Pein, die Gerechten aber in das ewige Leben.

Damit ist die Weltentwicklung zu einem gewissen Abschluß gekommen. Es ist aber nicht das absolute, sondern nur das relative Ende derselben; denn nach der Heiligen Schrift gibt es dann noch eine Weiterentwicklung. Auf Zion wird der Herr Jesus mit seiner Braut eine Gnadenhaushaltung beginnen, und diese wird währen, bis die durch den Sündenfall in der Schöpfung verursachte Disharmonie beseitigt und alles neugemacht ist.

Die Lehre von der Wiederbringung aller Dinge ist Hahn besonders wichtig; es ist die Lehre, daß alle vernünftigen Kreaturen, insbesondere also die abgefallenen Engel und Menschen, wenn auch großenteils erst nach überstandenen Gerichten, schließlich freiwillig unter das Zepter Jesu Christi, des Königs aller Könige, sich beugen werden, daß, wie sie in Adam alle - ohne Ausnahme - sterben, so auch in Christo alle - ohne Ausnahme - lebendig gemacht werden sollen und sonach Gott zuletzt wirklich "alles in allen" sein werde.

Wenn Hahn darauf zu sprechen kommt, läßt er seinen Mund mit besonderer Freudigkeit vom Lob und Preis des großen Namens Jesus übergehen. Er stützt sich bei dieser Lehre mit Nachdruck auf den Buchstaben, auf den Wortlaut und nächsten Wortsinn der hier in Betracht kommenden Schriftstellen; und das gewiß mit vollem Recht. Denn wenn zuweilen schon behauptet worden ist, die fragliche Lehre scheine allerdings dem Geist des Neuen Testaments, insbesondere der Grundwahrheit, daß Gott die Liebe ist, eher gemäß zu sein als die Annahme einer endlosen Verdammnis, während der Buchstabe der Schrift (z.B. der Ausspruch Mk 9, 44: "da ihr Wurm nicht stirbt... ") uns augenscheinlich nötige, der letzteren Annahme beizupflichten, so ist dem entgegenzuhalten, daß der Geist und der Buchstabe der Heiligen Schrift keinesfalls in einem wirklichen Widerspruch zueinander stehen können, weil beide wie Seele und Leib zusammengehören und ein harmonisches Ganzes bilden; wie denn auch bei Abfassung der biblischen Schriften die Richtung des Geistes Gottes sich nicht nur auf den Inhalt dieser Schriften, auf die darin enthaltenen Wahrheitsgedanken, sondern bis auf einen gewissen Grad auch auf die Form, in welcher diese zum Ausdruck gelangen sollten, erstreckt hat. Wenn also Hahn und die anderen Verteidiger der Wiederbringung nicht zu beweisen vermöchten, daß sie selbst den Buchstaben der Schrift für sich haben, so könnten sie auch in der Tat sich nicht rühmen, den Geist der Schrift auf ihrer Seite zu haben, - so würde es überhaupt um die Sache schlimm stehen. Hahn behauptet aber ausdrücklich: "Die Lehre von der Wiederbringung aller Dinge gehört nicht unter das, was man Wahrscheinlichkeiten und Vermutungen nennt; denn sehr viele Worte Gottes beweisen sie, und selbst mit denjenigen Worten der Heiligen Schrift, mit welchen man sie widerlegen will, kann man sie beweisen" (System).

Die ganze Frage wird sich freilich auf dem Wege verstandesmäßiger Reflexion oder bloß wissenschaftlicher Untersuchung nie völlig bereinigen lassen. Wer einen möglichst hellen Blick und klare, richtige Gedanken erlangen möchte, erlangt sie auf keinem anderen Weg als demjenigen, welchen jeder Christ zu gehen hat, dem es um lebendige Erkenntnis der Wahrheit zu tun ist (Jes 28, 19; Joh 7, 17; 8, 31.32; 16, 13; Röm 12, 2; 1Kor 16, 20; Eph 3, 14-19)., Es soll nun versucht werden, in gedrängter Kürze und doch auch mit der in solchen Dingen unerläßlichen Sorgfalt und Genauigkeit darzulegen, worauf sich die Lehre von der Wiederbringung aller Dinge vornehmlich gründet.

Hahn verbarg sich von vornherein nicht, daß es sich für jeden, der über diesen Gegenstand weiter nachzudenken veranlaßt ist, zunächst um folgende Hauptfragen handle: Hast du von Gottes Wesen und Eigenschaften, insbesondere von seiner Liebe und seiner Gerechtigkeit und von dem Verhältnis, in welchem die beiden zueinander stehen, auch wirklich eine richtige, d.h. schriftgemäße Vorstellung? Mengt sich nicht infolge deiner menschlich beschränkten Anschauungsweise in die Art, wie du über derlei Dinge zu denken gewohnt bist, unvermerkt etwas mit ein, das des großen Gottes unwürdig ist? Hast du auch auf Grund persönlicher Heilserfahrungen die großen Gedanken Gottes, seine Friedensgedanken, seinen Heils- und Erlösungsplan, insbesondere das Endziel der Wege Gottes schon in etwas verstehen gelernt? Und wie haben wir uns dieses letzte Ziel, auf welches die göttliche Weisheit hinarbeitet, zu denken? Das sicherste Mittel aber, um über diese und ähnliche Fragen ins reine zu kommen, ist gewiß neben gründlicher und fortgesetzter Erforschung des eigenen Herzenszustandes ein ernstes und tiefes Eindringen in das Ganze der Schriftwahrheit, wobei freilich ein jeder, der nicht irregehen will, es sich durchaus angelegen sein lassen muß, unablässig den Geist der Wahrheit zum Führer zu haben.

Nun berufen sich die Gegner der Wiederbringungslehre mit besonderer Vorliebe auf die bereits angeführte Stelle Mk 9, 44 ff. ("da ihr Wurm nicht stirbt und ihr Feuer nicht verlöscht"). Allein es ist bekanntermaßen immer mißlich, wenn man bezüglich der Begründung oder Widerlegung eines strittigen Lehrpunktes einer Stelle, die einem in Anbetracht des speziellen Zwecks, den man im Auge hat, besonders zusagt, aus der Heiligen Schrift herausgreift und sofort mit einer großen Zähigkeit an die Stelle sich anklammert, anstatt dieselbe vor allem darauf anzusehen, in was für einem Zusammenhang sie steht und wie sie sich in das Ganze der Schriftwahrheit einfügt. Und doppelt mißlich ist es, wenn eine solche Stelle, wie die eben angeführte, biblische Ausdrücke enthält, über deren eigentliche Bedeutung sehr verschieden geurteilt werden kann und geurteilt wird. Ist es unter solchen Umständen nicht ratsam, erst diejenigen Stellen ins Auge zu fassen, in welchen ohne Bild einfach von einer "ewigen Pein", einem "ewigen Gericht" u.dgl. die Rede ist, wie z.B. Mt 25, 46; Mk 3, 29?

Wenn nun in diesen und ähnlichen Stellen von einem Gericht, von einer Pein geredet wird, die sich in die "Ewigkeiten" (in die "Äonen") oder in die "Ewigkeiten der Ewigkeiten" hinein erstreckt, so wird man sich vor allem hüten müssen, ohne weiteres anzunehmen, das Wort "ewig" bedeute in der Bibelsprache soviel wie "endlos". Haben viele Christen von Kindheit an es sich eingeprägt, daß die Höllenstrafen, weil sie ja "ewig" seien, ins Unendliche fortdauern, so fragt man sich eben, ob diese Anschauung die richtige ist. "Bedenken Sie nur", schreibt Hahn in einem seiner Briefe (Bd XII, 1. Abt.), "daß Ewigkeit nicht Unendlichkeit heiße, so werden Sie finden, daß man die Wiederbringung aller Dinge sogar mit den Texten beweisen kann, mit welchen man dawider gestritten hat." Es handelt sich somit für uns zuerst um die Frage: Was ist überhaupt Zeit und was ist Ewigkeit? Und über diese Frage, mit welcher sich die tiefsinnigsten Denker alter und neuer Zeit schon viel beschäftigt haben, ist wohl noch niemand völlig ins reine gekommen, weil es sich hierbei teilweise um Dinge handelt, die über unseren gegenwärtigen Gesichtskreis nun einmal hinausgehen und die wir, solange wir in den Schranken von Raum und Zeit befangen sind, unmöglich vollständig ergründen können. Daß es irrig ist, die Ewigkeit sich einfach nur als eine endlose Zeit - etwa als eine unendlich lange Reihe von Jahren - zu denken, darüber sind heutzutage wohl alle, welche über solche Fragen überhaupt nachzudenken gewohnt sind, einverstanden. Die bruchstückartigen größeren und kleineren Zeitabschnitte, innerhalb deren sich unser armes Erdenleben bewegt, unsere Jahre, Monate und Tage, reichen, wenn man sich ihrer auch eine noch so große Zahl beisammen denkt, lange nicht hin, um uns ein einigermaßen genügendes Bild von dem zu geben, was das eine Wort "Ewigkeit" in sich begreift, so wer auch die Betrachtung des sichtbaren Himmels über unsern Häuptern nicht hinreicht, um uns von jenen himmlischen Regionen, die wir uns als die Wohnung Gottes und der heiligen Geister denken, ein deutliches Bild machen zu können. Aber ebensowenig läßt sich andererseits annehmen, daß alle zeitlichen - wie auch räumlichen - Unterschiede, der Unterschied des Einst und Jetzt, des Vorher und Nachher usw. jemals so ganz aufgehoben sein werden, daß gar keine Bewegung mehr stattfände oder jeder Gedanke die Möglichkeit einer solchen fernzuhalten wäre. Es wird dereinst nur statt des gegenwärtig bestehenden Nacheinander, Außer- und Nebeneinander ein beständiges Miteinander und Ineinander - z.B. von Himmlischem und Irdischem - stattfinden in einer Weise, wie dies in unserem dermaligen Weltzustand nicht oder kaum annähernd möglich ist. Denken wir nur z.B. an Schilderungen wie Off 21 und 22, 1-5! (Das Sakrament, insbesondere das heilige Abendmahl, bietet uns für jetzt, das Zukünftige vorbildend, ein solches geheimnisvolles Ineinander von irdischen und himmlischen Materien dar.) Demgemäß wird denn namentlich die ewige Seligkeit eine solche sein, welche durchaus keinem Wechsel, keiner Veränderung mehr unterworfen ist. Ebendaher ist sie eine ganze, volle, gleichsam unzerstückte und ungetrübte Seligkeit, wie Gott selbst sie ohne Unterlaß genießt.

So vieles uns nun aber auch für jetzt noch unklar sein mag, so ist hiernach doch jedenfalls anzunehmen, daß für die in der Schrift sogenannten Ewigkeiten oder Äonen ein ganz anderes Maß gilt als unser gegenwärtiges Zeitmaß. Daß man sich aber unter diesen Ewigkeiten - die Schrift redet nicht bloß von einer Ewigkeit - wenigstens irgendwie bestimmte Perioden zu denken hat, darauf weisen uns verschiedene Spuren hin. Der Ausdruck "Ewigkeit" und "Ewigkeiten" ("Äon" und "Äonen") findet sich z.B. auch Mt 24, 3 ("welches wird das Zeichen sein von deiner Zukunft und von dem Abschluß des [gegenwärtigen] Äons?"); 28, 20 ("ich bin bei euch alle Tage bis zum Abschluß des Äons"); Hebr 1, 2 ("durch welchen er auch die Äonen gemacht hat"); 9, 26 ("nun aber ist er einmal, am Abschluß des [bisherigen] Äons erschienen"); 1Kor 10, 11 ("auf welche das Ende der Äonen gekommen ist"). In allen diesen Stellen ist von der Vollendung gewisser großer Weltperioden die Rede, welche "Äonen" genannt werden. Somit können auch die Äonen einen Abschluß finden, und man darf daher, wenn die Pein der Verdammten als eine ewige oder in die langen Ewigkeiten hinein sich erstreckende bezeichnet wird, hieraus wenigstens noch nicht den Schluß machen, daß dieselbe niemals ein Ende erreichen werde. Oder warum ist in der Heiligen Schrift da, wo von der Pein der Verlorenen die Rede ist, stets nur das Wort "ewig" und nie das Wort "endlos" oder "grenzenlos" gebraucht? Solche Wörter hätten sich ja den Aposteln in der Sprache, in der sie schrieben, gleichfalls dargeboten (vgl z.B. 1Tim 1, 4), und es ist doch sonst in der Heiligen Schrift für jede Vorstellung der entsprechende, nächstliegende, einfachste und bestimmteste Ausdruck gewählt.

Auf die Sinnwendung aber, die man öfters zu hören bekommt, daß das Wort "ewig" nicht das eine Mal, wenn von der ewigen Seligkeit der Frommen die Rede sei, einen anderen Sinn haben könne als das andere Mal, wenn von der ewigen Pein der Gottlosen die Rede sei, daß demnach die letztere ebenso gewiß endlos sein müsse als die erstere es sei, ist einfach zu erwidern, daß man sich unter der "ewigen Seligkeit" zunächst eben auch eine in die Äonen hinein sich erstreckende Seligkeit zu denken hat und daß wir, wenn wir an die endlose Seligkeit der Frommen glauben, dies nicht etwa wegen des Wortes "ewig" tun, das dem Wort "Seligkeit" beigefügt ist, daß wir vielmehr für unseren Glauben sehr wichtige Gründe haben, wie wir sie für die Annahme einer endlosen Pein nirgends finden können. Denn der Zustand der Vollendung, d.h. hier der absoluten Vollkommenheit, bringt es an und für sich schon mit sich, daß es keiner Veränderung mehr unterworfen ist (wie auch Gott selbst unveränderlich ist (Jak 1, 17), daß er somit ohne Aufhören fortdauert. Das Himmelreich ist in Hebr 12, 28 ausdrücklich als ein "unbewegliches" Reich bezeichnet; wie sollte ein solches Reich oder der Zustand derjenigen, welchen es beschieden ist, in diesem Reiche zu leben, noch allerlei Wechseln oder gar der Vergänglichkeit unterliegen können? Auch sagen uns manche Schriftstellen deutlich genug, daß die Seligkeit wirklich kein Ende nimmt. Gal 6, 9 sagt der Apostel: "Zu seinen Zeiten werden wir ernten ohne Aufhören"; und nach Röm 2, 7 soll "Preis und Ehre und unvergängliches Wesen" denen zuteil werden, die "Mit Geduld in guten Werken trachten nach dem ewigen Leben"; es ist, wie wir in Petr 1, 4 lesen, "ein unvergängliches, unbeflecktes und unverwelkliches Erbe", das den Wiedergeborenen im Himmel aufbehalten ist; und 1Thes 4, 17 heißt es: "Wir werden bei dem Herrn sein allezeit". So bestimmt redet die Schrift da, wo es sich um den zukünftigen unseligen Zustand der Gottlosen handelt, niemals; es heißt nirgends: Sie werden gequält werden ohne Aufhören; wir lesen überall nur von Äonen, in welche die Qual sich hineinerstrecken wird.

Wenn ferner im Brief Judä von ewigen oder - wie der Ausdruck in dieser Stelle genau genommen lautet - immerwährenden Banden die Rede ist, mit welchen die unseligen Geister gebunden seien, so kann man darunter bei einer unbefangenen, vorurteilsfreien Betrachtungsweise nur eine solche Gefangenschaft verstehen, welche ohne zeitweilige Unterbrechung fortdauert (ähnlich wie es Off 14, 11 heißt: "Sie haben keine Ruhe Tag und Nacht"), während in den diesseitigen, irdischen Verhältnissen einem Gefangenen wohl zuweilen einige Erleichterung gewährt wird, indem ihm für längere oder kürzere Zeit die Kette abgenommen und etwa auch gestattet werden mag, eine Zeitlang sich außerhalb seines Kerkers zu bewegen. Eine solche zeitweilige Erleichterung oder Unterbrechung ihrer Gefangenschaft wird den unseligen, abgefallenen Geistern nicht zuteil; dieselbe dauert vielmehr ununterbrochen fort "bis auf das Gericht des großen Tages". Was von diesem Gerichtstag an weiter mit den abgefallenen Engeln geschehen wird, darauf geht der Verfasser des Briefs hier gar nicht ein. Im nächsten Vers aber, in welchem er auf die über die gegenwärtige Weltperiode hinaus sich erstreckenden Strafen gewisser Menschen zu sprechen kommt, die so ein gottloses Leben geführt hatten, gebraucht er wieder den stehenden Ausdruck: Sie leiden des ewigen (oder Äonen lang fortbrennenden) Feuers Pein. -

Besonders häufig aber beruft sich Hahn auf die bestimmten Versicherungen, die uns in der heiligen Schrift von der Liebe Gottes gegeben sind, welcher "allen gütig ist und sich aller seiner Werke erbarmt", welcher will, daß "allen Menschen geholfen werde und alle zur Erkenntnis der Wahrheit kommen", und welchem auch noch "danken werden alle seine Werke." Eben hierher gehört denn auch der weite Blick, den uns Paulus Röm 5, 17 ff und 1Kor 15, 21 ff in den göttlichen Heilsplan eröffnet, in welchen Stellen er uns einfach bezeugt, daß ebenso wie sie in Adam alle sterben, in Christo alle werden lebendig gemacht werden, daß auch der Tod als der letzte Feind aufgehoben werden und endlich Gott "alles in allen" sein werde. Ist es erlaubt, an den großartigen Wahrheitsgedanken, wie sie in den eben angeführten und ähnlichen Schriftstellen ausgesprochen sind, zu deuteln und zu rütteln, oder ihren vollen Umfang durch allerlei Klauseln und Vorbehalte zu beschränken? Und ist es überhaupt denkbar, daß der Gott, der die Liebe ist, jemals Wesen sollte erschaffen haben, von welchen er vermöge seiner Allwissenheit voraussehen mußte, daß sie niemals die Seligkeit erlangen, sondern ohne Aufhören Pein erleiden werden? Konnte eine endlose Pein in der göttlichen Gedankenwelt jemals Raum finden? "Ich glaube nicht", schreibt Hahn, "daß irgend ein Mensch schrecklicher wider Gott und Gottes Wahrheit, wider sein Licht und seines Herzens Sinn zeugen kann, als ein solcher, der keine allgemeine, alle angehende Erlösung glaubt und von unendlicher Verdammnis predigt; denn das heißt den lieben Gott als ein großes, feindseliges, unbarmherziges Wesen vorstellen, welchen wir doch als den Allbarmherzigen kennen und als das liebreichste Wesen verehren. O Torheit, den ewig Barmherzigen mit seinen Erbarmungen in eine Zeitfrist von 6000 Jahren einschränken! Sollte denn nicht ein Christenkind verstehen, daß mehrere Ewigkeiten sind und daß eine der andern Platz machen muß?" (Bd III, 1. Abt) "Alle die, welche wie Jesus gesinnt sind und seinen Geist haben, finden ihr wahres Wohlsein nicht im Herrschen und Hervorragen, sondern in einem herzlichen Liebeserbarmen, und das ist priesterlicher Sinn und Trieb. Diesen hat der Herr Jesus im höchsten und vollkommenen Grad, und er ist über die Maßen damit gesalbt. O wie sehr wünscht es seine allerheilige Seele, alle Kreatur mit Gott erfüllt zu sehen; und dies tröstet und beruhigt sein treues Herz am meisten, daß er weiß, daß es dazu kommen wird, und daß solches ja durch nichts wird gehindert werden" (System).

Auch über andere als die bisher berücksichtigten Schriftstellen, welche hier noch in Betracht kommen dürften, hat Hahn seine Ansicht mehrfach sehr bestimmt ausgesprochen. Dahin gehört das Wort Christi, daß die Menschen für eine besondere Sünde - die Lästerung des Geistes - weder in dieser noch in jener Welt Vergebung erlangen werden (Mt 12, 32) und das andere Wort, daß gewisse Menschen aus dem Gefängnis nicht herauskommen werden, "bis sie auch den letzten Heller bezahlen" (Lk 12,59). Diese Stellen können doch wohl keinen anderen Sinn haben als den, daß in den bezeichneten Fällen auch nicht der geringste Nachlaß der Strafe eintrete, daß vielmehr diese voll und ungeschmälert erlitten werden muß. Mit welchem Recht darf man aber aus den Worten Christi den Schluß ziehen, daß die Strafe für ein Vergehen, das von endlichen Geschöpfen begangen und selbst ein endliches, zeitliches war, ins Unendliche fortdauernde sein werde? "Hätte man nicht Ursache", bemerkt Hahn in einem Brief über Hebr 8, "wenn es unendliche Höllenstrafen gäbe, bei der Geburt eines jeden Adamskindes untröstlich zu weinen, wenn man bedenkt, wie wenige zur Wiedergeburt gelangen?" (Daß unsere kleinen Kinder, wenn sie die Taufe empfangen haben, wiedergeborene Menschen seien, oder daß die Wiedergeburt überhaupt in der Christenheit etwas sehr häufig Vorkommendes sei, wird heutzutage doch wohl niemand mehr annehmen, der aus Joh 3, 3-15; Mt 7, 13.14.18.21; Mk 4, 14.20; Jak 1, 18; 1Joh 3, 9; 5, 18 und Röm 8, 9-14 weiß, was es mit der Geburt aus dem Geist für eine Bewandtnis hat.) "Sollte man nicht über das Dasein solcher armen Wesen fast von Mitleiden und Erbarmen aufgerieben werden? Gott, ich gestehe, meine eigene Seligkeit fühlte eine ewige Kränkung, wenn mein Mitmensch, der kurze Zeit gesündigt hat, unendlich gestraft würde!" (Bd IV, 2.Abt.)

Was steht denn nun, wenn man nicht eben in betreff des einen Wortes "Ewigkeit" in einem Irrbegriff befangen ist, noch im Weg, anzunehmen, daß nach Ablauf gewisser Ewigkeiten (Äonen) oder unberechen-barer Perioden durch die erlittenen Gerichte wirklich den Forderungen der göttlichen Strafgerechtigkeit vollkommen Genüge geschehen sein werde? (Die Strafen lassen hinsichtlich ihrer Intensität, ihres ungeheuren Schwergewichts, alle menschlichen Vorstellungen ebenso weit hinter sich, wie die "Ewigkeiten" hinsichtlich ihrer Ausdehnung.) Bei dieser Annahme kann es allerdings, wie der Herr Mt 12, 32 sagt, unter keinen Umständen um eine Vergebung, um einen Nachlaß der verdienten Strafe, wohl aber um eine nach vollständig erstandener Strafe endlich eintretende Erlösung aus dem Kerker handeln, worauf vielleicht die Worte Luk 12, 59 hinweisen: "Du wirst von dannen nicht herauskommen, bis du den allerletzten Scherf bezahlest". Daß freilich der Mensch nichts geben oder darlegen kann, was die göttliche Gerechtigkeit ihm als angemessene Strafe für seine vielen Vergehungen zu leiden auferlegt, und daß die Verdammten auch nach vollständig erlittener Strafe kein Recht auf die Seligkeit beanspruchen können, sondern schließlich gleichfalls sich dazu verstehen müssen, "aus Gnaden" selig zu werden, ist selbstverständlich. Aber was hindert uns anzunehmen, daß sie durch ihre aufs höchste gesteigerten Leiden - zu welchen u.a. auch eine lang fortdauernde gänzliche Hoffnungs- und Aussichtslosigkeit gehören mag - endlich erweicht, zur Reue bewegt, zum Glauben an das Evangelium gebracht und hiemit fähig werden, noch desselben Gnadenheils teilhaftig zu werden, das andere schon ergriffen haben? Wäre hiemit nicht ebensowohl der göttlichen Gerechtigkeit als der göttlichen Liebe Rechnung getragen?

Wir dürfen demgemäß zuversichtlich glauben, daß die königliche und hohepriesterliche Würde Jesu Christi in der andern Welt noch wunderbarer, über all unser jetziges Begreifen hinausgehende Herrlichkeit offenbar werden wird, daß namentlich auch für diejenigen, welche als Priesterkönige mit ihm regieren werden (Off 1, 6; 5, 10; 20, 4; 22, 5), große und wichtige, aber auch selige Verrichtungen aufbehalten sind, und daß die Predigt des Evangeliums auch noch den unseligen Geistern - aber erst nach überstandenen schweren Gerichten - zugut kommen wird (vgl Petr 3, 19; 4, 6). Dies wird von Hahn öfters sehr bestimmt hervorgehoben. In diesem Blick ruft er in dem schon angeführten Brief über Heb 8 jubelnd und frohlockend aus: "Gelobt sei in die Ewigkeiten der Ewigkeiten Jehova Jesus, der Wiederbringer aller Dinge, unser hocherhabener, verherrlichter Gottmensch und himmlischer Hohepriester, der so herrliche Anstalten gemacht hat zu dem Heil des Ganzen, der da will, daß allen geholfen werde und alle zur Erkenntnis der Wahrheit kommen, der aber auch erreichen kann und erreichen wird, was er will, der die in Zeitfristen bestimmten Gerichte [die Gerichte, deren jedes nach Gottes Verordnung seine bestimmte Frist währen wird] zu gedeihlichen Wirkungsmitteln machen wird und zum Teil schon gemacht hat, der die Ungläubigen so zum Glauben zu bringen weiß, daß er sich ihrer dann erbarmen kann! Alles, was ein Leben und ein Dasein hat, lobe das Lämmlein, das sich hat schlachten lassen, damit es durch den Tod des Todes Macht zerbrechen, alles erneuern und mit Unsterblichkeit begaben könnte!" (Bd IV, 2.Ab.) - Oder sollte das, was bei den Menschen unmöglich ist - ein von Gott abgefallenes, der Verstockung preisgegebenes Geschöpf zur Buße zu erneuern (Heb 6, 6) - bei Gott gleichfalls unmöglich sein? Sollte er nicht imstande sein, durch die Gerichte der Ewigkeiten das Böse in seinen Geschöpfen endlich radikal zu tilgen oder jedes Geschöpf schließlich dahin zu bringen, daß es sich unter seine gewaltige Hand beugt und seinen Willen in Demut mit dem Willen seines Schöpfers vereinigt? Stehen ja doch alle, auch die verirrtesten Geschöpfe - als Wesen, die von Gott erschaffen sind und fort und fort im Dasein erhalten werden - mit ihm in alle Ewigkeit in einem notwendigen, wenn auch noch so losen Zusammenhang; sein unvergänglicher Geist ist in ihnen allen (Wh 12, 1), und die Weisheit, die alle Geister durchgeht (ebd 7, 23), hat wohl auch noch zu den unseligen Geistern einen Zugang, kann irgendwie auf sie einwirken und ihren Willen in Bewegung setzen, wann und soweit sich dies mit den Rechten der göttlichen Gerechtigkeit verträgt.

Wenn man aber schon behauptet hat, daß es Gottes unwürdig wäre, wenn er durch die Gerichte der Ewigkeit dem freien Willen seiner Geschöpfe gleichsam Gewalt antun und somit diese schließlich zwingen würde, sich zu bekehren, so ist hierauf zu entgegnen, daß von einem Zwang hier überhaupt nicht die Rede sein kann, wie ja Gott auch schon in dieser Welt durch Leiden und Trübsale vielen seiner ungehorsamen Menschenkinder unbeschadet ihrer Willensfreiheit dazu behilflich ist, ihren Starrsinn zu beugen.

Man erwäge doch recht das tiefsinnige Wort Fr. von Meyers, "daß das Böse unmöglich gleich ewig mit Gott sein könne, welchem als dem absolut Ewigen der unendliche Sieg nicht bloß über alle, sondern auch in allen seinen Feinden gebühre!" Oder wie will man bei der Annahme endloser Höllenstrafen der Vorstellung entgehen, daß in alle Ewigkeit zwei Prinzipien, ein gutes und ein böses, bestehen? Denn auch in dem Fall, daß das Böse zuletzt völlig unschädlich gemacht würde, wäre es doch, wenn jene Annahme richtig wäre, nie völlig aufgehoben. Es besteht noch immer ein wenn auch noch so verborgener Gegensatz gegen Gott und gegen das Gute überhaupt, solange irgend ein Geschöpf vorhanden ist, das seinen Willen nicht völlig dem göttlichen Willen geeinigt hat, während es im dem Augenblick, da es dies tun würde, nicht mehr böse, sondern vom Bösen los und selig wäre. - Oder wird der so klar und bestimmt ausgesprochene Wille Gottes, daß allen Menschen geholfen werde, erfüllt, wenn es in alle Ewigkeit Menschen gibt, die dem Verderben preisgegeben sind? Muß der Allmächtige um der Widerspenstigkeit gewisser Kreaturen willen es sich gefallen lassen, daß sein Liebeswille niemals vollständig ausgeführt werde? Oder ist es vielleicht von Anfang an noch nicht sein ernstlicher Wille gewesen, daß wirklich allen geholfen werde? Hat Gott etwa von vorneherein heimlich beschlossen, es solle allerdings eine Anzahl Menschen auf alle Ewigkeit verdammt sein?! Oder sind denn die Werke des Teufels wirklich völlig "zerstört" (1Joh 3, 8), solange noch irgend etwas Böses, und sollte es auch noch so ohnmächtig sein, vorhanden ist? - Endlich: Kann, solange es eine Hölle gibt, das Wort Off 21, 5: "Siehe, ich mache alles neu" als vollständig erfüllt angesehen werden?

Diese Fragen sind gewiß des Nachdenkens wert; die richtige Antwort auf sie zu finden, sollte bei genauerem Achthaben auf die mannigfaltigen Aufschlüsse, welche das Wort Gottes über die betreffenden Punkte gibt, nicht sehr schwer sein. "Daß Gott endlich alles in allen werden wird, sagt die Schrift. Ob etwas davon ausgenommen werden müsse, sagt sie nicht. Wer etwas davon ausschließen kann, der tue es; ich mag es nicht tun" - bemerkt M.Hahn zu 1Kor 15, 28.

Und jetzt soll auch die auf die ganz in bildlichen Ausdrücken sich bewegende Rede des Herrn Mk 9, 44 ff ("da ihr Wurm nicht stirbt...") etwas näher eingegangen werden, von welcher auch solche, die der Lehre von der Wiederbringung nicht zugetan sind, zugeben, daß sie einen "sprichwörtlichen", "volkstümlichen" Charakter in sich trage. Wenn nun in betreff der Worte Mt 5, 26: "bis du auch den letzten Heller bezahlest" schon behauptet worden ist, es sei dies eine sprichwörtliche Redeweise, wobei man nicht eben jeden einzelnen Ausdruck so genau buchstäblich nehmen dürfe, als ob irgend einmal eine Zeit käme, da ein solches bezahlen der ungeheuren Schuld wirklich möglich sein werde, - darf man nicht mindestens mit demselben Recht von der Stelle Mk 9, 44 ff sagen, es sei um ihres sprichwörtlichen Charakters willen nicht jeder Ausdruck streng buchstäblich nach dem Wortlaut zu nehmen? Es wurden bekanntlich im Tale Hinnon (bei Jerusalem), von welchem die Gehenna, d.h. die Feuerhölle, ihren Namen erhalten hat, in alter Zeit dem Götzen Moloch Kinder geopfert (Jer 32, 35), und späterhin wurden tote Tiere und besonders auch die Leichname getöteter Missetäter daselbst verbrannt. Wenn nun zu gewissen Zeiten - wie dies tatsächlich der Fall war - das Feuer an diesem Ort fort und fort unterhalten werden mußte, während in den noch nicht völlig verbrannten Leichnamen sich Würmer erzeugten, so mochte wohl das Volk sagen: Das Feuer im Tale Hinnom erlischt gar nicht, das Gewürm erstirbt gar nicht mehr! Da konnte denn der Herr gewiß leicht an solche Reden (und zugleich an alttestamentliche Stellen wie Jes 1, 31; 34, 9.10; 66, 24; Jer 17, 27; Amos 5, 6) anknüpfend bemerken: Was ihr da von eurem Tal Hinnom zu sagen pflegt, das findet seine vollere Anwendung auf ein anderes Tal Hinnom: da, in der Gehenna, in der Feuerhölle, ist auch kein Ende alles des Schrecklichen abzusehen, das sich hier beisammen finden wird!

Beachtet man den ganzen Zusammenhang dieser Stelle, so wird es vollends klar, daß der Herr mit dem sprichwörtlichen Ausdruck: "da ihr Wurm nicht stirbt..." gewiß nicht die Lehre von der Endlosigkeit der Höllenstrafen aufstellen wollte, da vielmehr seine Absicht in erster Linie die war, vor allen Ärgernissen und deren grauenvollen Folgen so eindringlich als möglich zu warnen.

Ist man nun, wenn alles genau erwogen wird, noch berechtigt, das, was der Herr Mk 9 seinen Zuhörern in volkstümlicher, bildlicher Sprache ans Herz legt, ohne weiteres zu einem förmlichen Lehrsatz zu stempeln, auf die Gefahr hin, dadurch mit zahlreichen andern Stellen der Heiligen Schrift, und zwar mit dem richtig verstandenen Buchstaben wie mit dem Geist der Schrift, zumal des Neuen Testaments, in Widerspruch zu geraten?

Über den Sinn der Stelle Mk 9 kann offenbar so lange nichts Bestimmtes ausgesagt werden, als man nicht darüber im reinen ist, was mit den bildlichen Ausdrücken "Wurm" und "Feuer" eigentlich gemeint ist. Nicht bloß Hahn, sondern auch andere Schriftforscher denken hier z.B. an das von Jakobus in seinem Brief erwähnte "Geburtsrad" oder "Naturrad", das in Brand gerät, wenn die Zunge "von der Hölle entzündet ist" (Jak 3, 6). Wie nämlich das Blut unablässig in rotierender Bewegung, in einem Kreislauf, vom Herzen als dem Mittelpunkt unserer leiblich-seelischen Existenz in alle Körperteile, und von da wieder zurück zum Herzen strömt, so ist auch unser gesamtes Leibes- und Seelenleben sich jenem stets drehenden Rade gleich in beständiger Bewegung begriffen. So kann ja namentlich die Seele mit ihrem Erkenntnistrieb und ihrer Denktätigkeit sowie mit ihrem Begehren und Verlangen bald aufwärts steigen bald sich niederwärts neigen, das Gemüt kann sich auswärts und einwärts kehren, sich ausdehnen und sich zusammenziehen - in Liebe und Haß, in Zuneigung und Abneigung, in Freude und Schmerz, in Hoffnung und Furcht. Demgemäß steht auch die menschliche Seele in steter Wechselbeziehung teils zu Gott teils zu der sie umgebenden Welt; sie hat ein Anziehungs- und ein Abstoßungsvermögen, welches sie beiden, Gott und der Welt gegenüber geltend machen kann; sie nimmt - ähnlich wie der Leib, dessen Lebensprozeß unter beständigem Ein- und Ausatmen vor sich geht - fortwährend ein und gibt wieder aus; sie empfängt von ihrer Umgebung Eindrücke der verschiedensten Art und wirkt auf dieselbe wiederum ein in guter oder schlimmer Weise. (Das eben Gesagte mag uns u.a. an die bedeutsamen Worte der Heiligen Schrift erinnern: "Des Leibes Leben ist in seinem Blut" und: "Behüte dein Herz mit allem Fleiß, denn daraus geht das Leben" 3.Mose 17, 11.14; 5.Mose 12, 23; Spr 4, 23) Ist nun das Herz in einer guten Verfassung, ist es eine Wohn- und Werkstätte Gottes und seines Geistes, von ihm beherrscht und erfüllt, so ist der Umlauf jenes Rades ein ruhiger und gleichmäßiger. Die Seele hat dann das rechte Gleichgewicht, sozusagen die richtige Temperatur gefunden; ihr Wirken und Schaffen nimmt seinen geordneten, regelmäßigen Verlauf; sie dreht und bewegt sich mit allen Kräften, so vieles sie auch in Anspruch nehmen mag, fort und fort um ihren wahren Ruhe- und Mittelpunkt, um Gott, wie sich die Planeten um die Sonne drehen; ihr Zustand ist der der vollkommensten Harmonie, und der Friede Gottes bewahrt Herz und Sinne in Christo Jesu. Dagegen gerät das Leibes- und Seelenleben - eben jenes Naturrad des Jakobusbriefes - in eine unordentliche und unruhevolle, peinliche Bewegung, wenn sich der Mensch in finsterer Luft dem Einfluß der Hölle aufschließt, wobei denn ganz besonders die Zunge es ist, durch welche sich das im Herzen angefachte Höllenfeuer kundgibt. Die Seele namentlich, welche nach Pred 3, 11 "die Ewigkeit in sich trägt", hat, wenn sie einmal von den Mächten der Finsternis in Beschlag genommen ist, ihr Gleichgewicht und ihren eigentlichen Halt verloren. Sie gleicht diesem ihrem gott-verlassenen Zustande mit ihren ungestillten Begierden und Wünschen, ihren unbegründeten Hoffnungen und maßlosen Befürchtungen, ihrer Unruhe und ihren Gewissensbissen in der Tat einem bald ängstlich sich hin- und herwindenden, bald gierig nagenden und doch durch nichts zu sättigenden "Wurm, der nicht stirbt". Zugleich ist sie in eine Lage versetzt, welche derjenigen ganz ähnlich ist, in die das leibliche Leben durch eine heftige Entzündungskrankheit, durch ein aufregendes und aufreibendes Fieber versetzt wird: sie ist von der Hitze der Leidenschaft gleichsam ausgebrannt und trägt einen qualvollen Durst in sich, der durch nichts in der Welt gestillt werden kann, wenn sie auch während des Erdenlebens, solange sie im Leibe wohnt, sich durch betäubende sinnliche Genüsse je und je eine vorübergehende scheinbare Befriedigung zu verschaffen und das Gefühl jenes Durstes einigermaßen zu unterdrücken vermag; es brennt in ihr ein "unauslöschliches Feuer". Das Quälende dieses Zustandes aber kann Ewigkeiten lang fortdauern. Es dauert fort, solange die Seele eben "von der Hölle entzündet" und ihren Einflüssen preisgegeben ist, solange sie ihren Ruhepunkt, ihren Gott nicht gefunden hat und ihm nicht der erste Platz im Herzen eingeräumt wird, mit anderen Worten: solange nicht der Geist des Herrn als ein lebendiger Wind (Hes 10, 17; Joh 3, 8) das Rad durchgeht und die Seele nicht mit Lebenswasser erfüllt und gestillt wird. Geschieht dagegen das Letztere, so steht das Rad zwar nicht still, aber es nimmt fortan einen ruhigen, geregelten Gang; so ist auch die Lebensflamme nicht erloschen - die Seele ist ja unvergänglichen Wesens -, vielmehr brennt sie fort, von dem Öl des Gottesgeistes genährt, nur nicht mehr in quälender, sondern in wohltuender, sanfter und lieblicher Weise, nachdem der Mensch in dem Gefühl seines unsäglichen Elends des göttlichen Erbarmens bedürftig und das heftige, wilde Feuer, welches zuvor in seinem Innern getobt hatte, durch den göttlichen Gnadeneinfluß gedämpft worden ist.

M.Hahn wurde einst aufgefordert, eben über jene Stelle Mk 9 seine Gedanken auszusprechen. Er ist diesem Wunsch in einem längeren Brief nachgekommen und hat gezeigt, daß sie der Wiederbringungslehre in keiner Weise widerspricht. Es heißt darin u.a.: "Die Seele des natürlichen Menschen ist, wenn wir ihn ohne die Geburt aus Gott betrachten (denn von solchen Menschen redet hier der Heiland), ein Feuerwurm, ein immer begehrendes und umlaufendes Feuerrad. Man verstehe jedoch kein gemeines Feuer; sie ist aber gewiß ein unauslöschliches Feuer nach ihrem ewigen Teil. Ist sie ohne das Lichtleben und Wesen der Herrlichkeit Gottes, so ist sie in der Hölle und quält sich selber: der Verwesungswurm, der Geist der Auflösung und Zerstörung, stirbt nicht, bis er alles, was nicht aus der göttlichen Herrlichkeit geflossen und ins Wesen gekommen ist, verzehrt hat; und das Seelenfeuer verlöscht nicht, sondern brennt in dem Qualfeuer des Geistes der Ewigkeit fort, bis alle Gestalten und Bilder der Sünde und des Todes, des Drachen und der Schlange ausgebrannt sind, bis das Öl der Erblust verzehrt und das durch Ausübung vermehrte finstere Salz aufgelöst ist. Hat aber das Feuer der Seele Wesen der Herrlichkeit aus Christus zur Nahrung, so ist das ihre Seligkeit und Allgenügsamkeit..."

Dazu wird es aber schließlich bei allen kommen. "Es wird endlich kein Tod, keine Hölle, kein Feuersee, kein Satan und Belial mehr sein", sagt Hahn an anderer Stelle; "denn solange das alles ist, kann Gott nicht selbst alles in allen sein. Wenn aber Tod, Teufel und Hölle und also alles Böse nicht mehr ist, wo ist es dann hingekommen? Ist es vernichtet und so aufgelöst worden, daß es gar nicht mehr existiert? Nein, so nicht. Sondern es ist durch den Wiederbringer und die Wiederbringungsanstalten wiedergebracht. Das Kranke ist gesund und geheilt, das Tote lebendig gemacht worden; Rebellen gibt es nicht mehr."

Daß die Lehre von der Wiederbringung aller Dinge für manche durchaus achtungswerte Christen etwas Anstößiges hat, ist bekannt, und daß man bei der öffentlichen Darlegung derselben vorsichtig sein muß, ist gewiß richtig. Es ist aber auch Tatsache, daß im allgemeinen das jedem Menschen von Gott selbst eingepflanzte Wahrheits- und Rechtsgefühl durch die Lehre von der Wiederbringung eher angesprochen und befriedigt wird als durch die gegenteilige Lehre, und daß schon manche, die der Heiligen Schrift lange Zeit ungläubig und sogar feindlich gegenübergestanden waren, weil sie meinten, dieselbige lehre endlose Höllenstrafen, für die Schriftwahrheit gewonnen wurden und dieselbe mit Freuden als Gottes Wort annahmen, als ihnen etwas von der Wiederbringungslehre zu Ohren kam und sie sich überzeugten, daß dieselbige durchaus auf biblischer Grundlage ruhe und dagegen die fürchterliche Lehre von der Endlosigkeit der Höllenstrafen in der Heiligen Schrift in Wahrheit nicht zu finden sei.

Vielen Seelen ist die Lehre von der Wiederbringung aller Dinge zu einem wirklichen Bedürfnis geworden. Sie haben nicht nur keinen Schaden, sondern großen Nutzen davon gehabt und stimmen mit freudig bewegtem Herzen zu, wenn Hahn im Blick auf die durch Christus erneuerte Welt anbetend ausruft: "O wie herrlich wird es sein, wenn einst deine Seele, Herr Jesu, ein zentralischer Thron und Quellbrunn sein und in alle Menschenseelen fließen wird; wenn einst Gottes Gedanke, wie er in deinem Herzen entspringt, in alle Herzen ergossen sein wird; wenn alle Willen von einem Willen gelenkt, mit einem Willen vereint sein werden; wenn eine Harmonie sein und Gott das All als ein lebendiges Instrument bewegen wird zum Lob seiner Herrlichkeit!"

Zur Bestätigung dessen, was in betreff der "letzten Dinge" ausgeführt worden ist, möge noch angeführt werden, wie sich Ludwig Schöberlein, Prof. der Theologie in Göttingen. in der Abhandlung über "Zeit und Ewigkeit" über die zukünftige Seligkeit und den Zustand der Vollendung ausspricht. Es wird manchem unsrer Leser von Wert sein, bei dieser Gelegenheit sich aufs neue davon zu überzeugen, daß die Wahrheit überall nur eine ist, von welchem Munde sie auch immer ausgesprochen werden mag, und daß insbesondere auch die Anschauungsweise von Schriftforschern, deren Name allenthalben einen guten Klang hat, mit den Grundgedanken des Hahnschen Systems zusammentrifft. "Dann", bemerkt Sch., "wenn (nach Off 11, 15; 14, 11) keine Zeit mehr sein wird, wird ein neuer Himmel und eine neue Erde werden, und Himmel und Erde werden nicht mehr geschieden sein, sondern der Himmel wird mit seinem Lichte die ganze Erde durchdringen und verklären. Ebenso wird auch kein Wechsel des Jahres mehr stattfinden, sondern ein ewiger Frühling wird blühen, welcher, nach dem Wort der Weissagung, Blüte und Frucht zugleich bringt. Und so wird auch der geistliche Leib, in welchem die Seligen auferweckt werden, in ewiger Jugend stehen, und "der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen." Nichts, was die Seele liebt, wird ihr mehr ferne sein und für sie in der Vergangenheit oder Zukunft liegen, sondern alles wird ihr nahe sein, nahe in seliger Gegenwart. Aus der Tiefe des unausschöpflichen Lebens Gottes aber wird eine unerschöpfliche Fülle der Herrlichkeit ohne Ende emporsteigen und in ihrem Schoße einen Reichtum göttlicher Ideen mit sich führen, in deren Auswirkung die Menschheit ebenso eine unendliche Aufgabe für ihre Tätigkeit haben, als sie in dem Anschauen Gottes und in der Gemeinschaft seines himmlischen reiches einen immer neuen Quell der Seligkeit finden wird. Und so wird sich Äon an Äon, wird sich eine himmlische Weltperiode an die andere reihen, in deren jeder nicht mehr Entwicklung unter Arbeit und Kampf, sondern freie, selige Entfaltung aller Kräfte des Lebens stattfinden und die Ewigkeit der Kreatur mit der Ewigkeit Gottes in vollendeter Einheit stehen wird. - Wird nicht aber auch ein Äon folgen können, in welchem dieses ewige Leben wieder endet? Von der seligen Ewigkeit ist dies undenkbar: sie wird kein Ende nehmen. Denn Gott ist die Liebe. Er hat ja die Welt eben dazu geschaffen und in die Zeit gesetzt, daß sie auf freiem Wege ihr Leben in sein Leben einführe und so mit ihm ewiglich lebe in seinem Reiche. Wenn daher einst die Ewigkeit der Kreatur in der Ewigkeit Gottes ruhen wird, dann kann sie nichts mehr von ihm, ihrem Lebensquell scheiden, dann währt sie, wie Gott selbst, von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Selige Fernen, in welche uns unsere Frage geführt hat! Aber kehren wir zurück in die Zeit, darin wir hienieden noch stehn. Sie ists ja, in welche die Ewigkeit ihre Wurzeln einsenkt. Nur wer das Ewige hier pflanzt und pflegt, wird seine Frucht einst genießen. Wir schließen mit den Worten des tiefsinnigen Dichters Angelus Silesius:

"Mensch, werde wesentlich! Denn wenn die Welt vergeht,

So fällt der Zufall weg; das Wesen, das besteht.

Der Seelen Morgenrot ist Gott in dieser Zeit:

Ihr Mittag wird er sein im Stand der Herrlichkeit.

Wie selig ist der Mensch, der alle seine Zeit

Mit anders nichts verbringt als mit der Ewigkeit."

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