Gut und Böse

 

Wir alle besitzen ein Bewußtsein, das dafür sorgt, daß uns die Welt polar erscheint. Es ist wichtig, sich einzugestehen, daß nicht die Welt polar ist, sondern unser Bewußtsein, durch welches wir die Welt erfahren. Polaritäten erscheinen nur dem oberflächlichem Betrachter als Gegensätze, die sich gegenseitig ausschließen. Bei näherem Hinsehen zeigt sich, daß die Gegensätze zusammen eine Einheit bilden und in ihrer Existenz voneinander abhängig sind.

Betrachten wir die Gesetze der Polarität an einem konkreten Beispiel wie dem Atem, der dem Menschen die Grunderfahrung der Polarität vermittelt. Daran sehen wir, daß das Einatmen vom Ausatmen lebt und ohne seinen Gegenpol nicht existenzfähig wäre.

Ein Pol lebt vom anderen Pol

Nehmen wir einen Pol weg, verschwindet der andere Pol auch. So entsteht auch Elektrizität aus der Spannung zwischen 2 Polen.

Beim Betrachten eines Vexierbildes kann jeder selbst das Problem der Polarität nachempfinden.

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Dieses optische Spiel ist eine gute Brücke zum Verständnis der Polarität. In diesem Bild ist der schwarze Pol abhängig vom weißen Pol und umgekehrt. Nimmt man dem Bild einen Pol weg, verschwindet das ganze Bild. Man beachte, die beiden Bilder sind gleichzeitig im Vexierbild vorhanden, können aber nur nacheinander wahrgenommen werden.

Die Wissenschaft machte diese fundamentale Entdeckung erstmals bei der Erforschung des Lichts (Welle - Teilchen - Dualität).

Diese hohe Abhängigkeit zweier Gegensätze voneinander zeigt uns daß hinter jeder Polarität offen-sichtlich eine Einheit steht, die wir Menschen mit unserem Bewußtsein nur nicht als Einheit in ihrer Gleichzeitigkeit erkennen und wahrnehmen können. So sind wir gezwungen, jede Wirklichkeitseinheit in 2 Pole zu zerlegen und diese dann nacheinander zu betrachten.

Bei der Betrachtung alter Sprachen kann man ebenfalls noch sehr gut nachvollziehen, wie unser Bewußtsein und Erkenntnisdrang ursprüngliche Einheiten in Gegensätze aufspaltete. Offensichtlich gelang es den Menschen in früheren Kulturen noch besser, hinter der Polarität die Einheit zu sehen, denn in den alten Sprachen besitzen viele Worte noch die Polarität. Im Griechischen heißt "pharmacon" sowohl Gift als auch Heilmittel. Noch näher an unser Thema führt uns die sprachliche Verwandtschaft von Bös und Baß. Das Wort baß ist althochdeutsch und meint so viel wie "gut". Hier sehen wir, daß ursprünglich für Gegenpole wie gut und böse nur ein gemeinsames Wort benutzt wurde. Im Englischen sehen wir das heute noch in dem Wort "without", das wörtlich "mitohne" bedeutet, jedoch nur noch den einen Pol, nämlich "ohne" zugeordnet wird. Es verwundert uns nicht, daß die Polarität des menschlichen Bewußtseins sich auch im Bau des Großhirns als Abbild wiederfindet. Bekanntlich gliedert sich das Großhirn in 2 Hälften (Hemisphären), die durch den Balken miteinander verbunden sind. Es ist leicht einzusehen, wie unheil ein Mensch wäre, der nur eine der beiden Hirnhälften besäße. Doch genau so unheil ist in Wirklichkeit das übliche wissenschaftliche genannte Weltbild unserer Zeit, denn es ist das Weltbild der linken Hirnhälfte (rational, analytisch...).

Für unsere weiteren Überlegungen ist es wichtig, die tiefe Zusammengehörigkeit zweier Pole zu begreifen und die Unmöglichkeit einzusehen, einen Pol zu behalten, während man den anderen aus der Welt schaffen will.

Einen guten Einblick in die Entstehung des polaren Bewußtseins gibt uns die alttestamentliche Darstellung des Sündenfalls.

Wir erinnern uns, daß uns im zweiten Schöpfungsbericht erzählt wird, wie der erste "androgyne" (m-w) Mensch Adam in den Garten Eden gesetzt wird, in dem er neben dem Naturreich vor allem 2 Bäume vorfindet: den Baum der Erkenntnis des "Guten und Bösen" und den Baum des Lebens. Für das weitere Verständnis dieser Geschichte ist es wichtig zu sehen, daß Adam nicht Mann war, sondern ein Androgyn. Er war der ganzheitliche Mensch, der noch nicht der Polarität unterlag, noch nicht in ein Gegensatzpaar aufgespalten war. Er war noch eins mit allem - dieser kosmische Bewußtseinszustand wird mit dem Bild des Paradieses umschrieben.

Obwohl also der Mensch Adam noch in der Einheit des Bewußtseins lebt, ist das Thema der Polarität durch die beiden Bäume bereits angelegt. Das Thema der Spaltung schwingt schon von Anbeginn in der Schöpfungsgeschichte mit, denn Schöpfen geschieht ja durch Abspalten und Entzweien. So berichtet schon der erste Schöpfungsbericht nur von Polarisierungen: Licht-Finsternis, Wasser-Land, Sonne-Mond usw.

Allein vom Menschen erfahren wir, daß er als Mannweib geschaffen wurde. Doch im Laufe der Erzählung verdichtet sich das Thema Polarität immer mehr. So kommt es, daß "Adam" den Wunsch entwickelt, einen Teil seines Wesens nach außen hin zu stellen und formal eigenständig werden zu lassen.

Ein solcher Schritt bedeutet zwangsläufig bereits einen Verlust an Bewußtheit (der eingegebene Odem = Gottesgeist wurde halbiert, Mann und Frau besitzen jeder nur noch die Hälfte) was ein Vakuum zurückläßt. Dies umschreibt unsere Geschichte mit dem Hinweis, daß er in einen tiefen Schlaf fällt, und Gott nimmt von dem "ganzen" und "heilen" Menschen Adam eine Seite und macht daraus etwas Selbständiges. Jenes Wort, das Luther mit "Rippe" übersetzte, heißt im hebräischen Originaltext "tselah" = Seite und ist verwandt mit dem Wort "tsel" = der Schatten.

Der "ganze", "heile" Mensch wurde gespalten in zwei formal unterscheidbare Aspekte, die Mann und Frau genannt wurden.

Doch die Spaltung reicht noch nicht ganz bis in das Bewußtsein des Menschen, denn sie erkennen ihren Unterschied noch nicht, sondern sind immer noch in der Ganzheit des Paradieses. Aber diese Spaltung und das Vakuum des Geistes ist Voraussetzung für die Einflüsterung der Schlange, die dem Weib, dem empfänglichen Teil des Menschen verspricht, daß der Genuß vom Baum der Erkenntnis (Symbol für Götter = Engelsfürsten) ihm die Fähigkeit der Unterscheidung von "Gut" und "Böse", also Erkenntnisfähigkeit, bescheren würde.

Die Schlange hält ihr Versprechen. Die Menschen werden sehend für die Polarität und können Gut und Böse, Mann und Frau unterscheiden.

Mit diesem Schritt verlieren sie die "Einheit" (kosmisches Bewußtsein) und erlangen die Polarität (Erkenntnisfähigkeit). So müssen sie zwangsläufig das Paradies verlassen und tauchen in die polare Welt der materiellen Formen ein.

Die Mythologien aller Völker und aller Zeiten wissen um dieses zentralste Thema des Menschseins und kleiden es in ähnliche Bilder.

In dem man den Teufel zum Widersacher Gottes machte, zog man unbemerkt Gott in die Polarität. Doch Gott ist Einheit, welche alle Polarität ungeschieden in sich verewigt - selbstverständlich auch "Gut" und "Böse". Der Teufel hingegen ist die Polarität, der Herr der Entzweiung oder wie Jesus sagt: "Der Herr dieser (polaren) Welt".

So wird der Teufel als rechtmäßiger Herr der Polarität immer mit dem Symbol der Spaltung oder der Zweiheit ausgestattet: 2 Hörner, 2 Hufe oder einem Pentagramm mit zwei Spitzen.

Aber an dieser Stelle interessiert uns ja nicht der Teufel, wir fragen uns nach der Natur des "Bösen". Was ist nun das "Böse"? Zunächst einmal läßt sich das "Böse" nur denken, indem es in Opposition zu seinem Gegenteil, dem "Guten" sich befindet.

Jeder Mensch verteilt seine Wertung, das will ich, das will ich nicht. Das soll sein, das soll nicht sein. Das ist "gut", das ist "böse". Sehen wir es einmal graphisch, so gibt es einen Nullpunkt, und vom Nullpunkt ausgehend 2 Stränge, nach links und nach rechts.

 

böse 0 gut

Und da sich jeder Mensch entscheiden muß, so will er sich wenigstens "vernünftig" und "richtig" entscheiden, und dazu brauchen wir eben einen Bewertungsmaßstab. Dieses Wertsystem funktioniert erst einmal recht gut und macht Entscheidungen leicht. Man braucht nur immer das zu tun, was "gut" und "richtig" ist. Leider wird jedoch unser eigenes Wertsystem fortlaufend durch andere Menschen in Frage gestellt, die sich eben anders entscheiden.

Zwar steht fest, daß die Wertmaßstäbe der anderen "schlicht falsch" sind, dennoch bleibt es ärgerlich, daß nicht alle die gleichen Maßstäbe haben, was "gut" und "richtig" ist. Und so beginnt ein jeder seine Wertmaßstäbe zu verteidigen und versucht möglichst viele Menschen von seinem eigenen Wertmaßstab zu überzeugen. Letztlich müßte man natürlich alle Menschen von den eigenen Wertmaßstäben überzeugen, dann erst hätten wir eine "gute", "richtige" und "heile" Welt. Leider denken alle so. Und so bleibt der Krieg der richtigen Meinungen im vollen Gang, und alle wollen doch nur das Richtige tun. Aber was ist "richtig", was ist "falsch", was ist "gut" und was ist "böse"?

Der einzige Schritt, der aus dem Dilemma herausführt, ist die Einsicht, daß es innerhalb der Polarität kein absolutes, objektives "Gut" oder "Böse" gibt. Aber unsere Erkenntnis bedarf dieser Polarität, und diese zwingt den Menschen, sich ständig zu entscheiden. Jede Entscheidung zerlegt die Polarität in einen akzeptierten und einen abgelehnten Teil. Der akzeptierte Teil wird in Verhalten umgesetzt und somit ins Bewußtsein aufgenommen. Der nicht erkannte oder besser abgelehnte Teil gerät ins Unbewußte und wird somit zum Schatten.

Als Schatten bezeichnen wir die Summe aller abgelehnten Wirklichkeitsanteile, die ein Mensch bei sich selbst nicht sieht, oder nicht sehen will, und die ihm daher unbewußt sind. Aus dem "Nicht-Sehen" schließt man schnell auf ein "Nicht-Haben". Nun führt die Weigerung (das Nicht-Haben-Wollen), sich mit einem Teil der Wirklichkeit auseinandersetzen zu wollen und diesen zu leben, eben nicht zu dem gewünschten Erfolg. Der Mensch projiziert diesen Schattenanteil auf die Außenwelt und nun tritt dieser abgelehnte Teil von "außen" an uns heran und macht uns Angst und erzeugt Ablehnung.

Projektion bedeutet also, daß wir aus der einen Hälfte (nicht akzeptierter Anteil) ein Außen machen, weil wir sie innen nicht haben wollen. Wir erleben also unseren Schatten immer als außen, würden wir ihn in und bei uns sehen, wäre er nicht länger unser Schatten.

Unser Schatten flößt uns Angst ein. Kein Wunder, besteht er doch ausschließlich aus all jenen Wirklichkeitsanteilen, die wir am weitesten von uns weggeschoben haben, die wir am wenigsten in uns vorfinden wollen. Der Schatten ist die Summe dessen, von dem wir am tiefsten überzeugt sind, daß es aus der Welt geschafft werden müßte, damit diese "gut" und "heil" werde. Der Schatten enthält also all das, was der Mensch als böse erkannte, und somit muß auch der Schatten "böse" sein. Allein die Frage nach dem Schatten (Bösen), nach dem dunklen Bereich im Menschen hat für uns heilende Wirkung (Psychotherapie= Integration einzelner Schattenanteile). Jetzt verstehen wir auch das Sprichwort: "der hat einen leichten Schatten". Wir haben gesehen, daß beide Pole "gut" und "böse" zusammengehören und nicht zu trennen sind.

Und natürlich versammeln wir Menschen uns am liebsten an einem Pol der Skala, an jenem, der nach gesellschaftlicher und seelischer Übereinkunft der "gute" ist. Danach geht unser ganzes Trachten und Sehnen. Und natürlich bringt eine derart einseitige Betrachtung mit schöner Regelmäßigkeit (nach einiger Zeit) den anderen Pol ins Spiel. Wenn Mephisto, der Grundtyp des Bösen, von sich behauptet:

"Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und doch das Gute schafft."

vergaß er aber zu sagen, daß dieser Satz genauso auch umgekehrt gilt. Da wir uns eben nicht für den Teil des Teufels halten, lautet er bei den "Positiven Denkern":

"Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Gute will..."

und was jetzt folgt, kann sich jeder selbst ausrechnen. Aber natürlich vergaß Mephisto nicht, das zu sagen: es war ihm wichtig, daß die Menschen das nicht begreifen.

Je besser ich sein will, desto mehr Teile von mir verfallen seinem Einflußbereich. Je mehr ich dem Guten nachjage, desto mehr verfalle ich einer Idee. Der Idee nämlich, daß die Welt gut sein möge und daß ich daran ein gerüttelt Maß an Einfluß nehme.

Wenn aber die Achse selbst (mit ihren beiden Polen) nur den einen Pol des Phänomens beschreibt, dann folgt daraus zweierlei:

Zum einen ist es jetzt unerheblich, an welcher Stelle der gedachten Skala ich mich befinde, denn jeder Punkt der Skala erzwingt früher oder später seinen Gegenpol. Das meint der Satz: "ich bin ein Teil von jener Kraft..." und zweitens muß es einen Ort geben, der außerhalb diese Polbezugs liegt. Auf unserer Achse sehen wir diesen Ort mit einem Blick: es ist der Nullpunkt, der da sagt: "weder gut noch böse".

Die Antwort ist ebenso einfach, wie auf den ersten Blick verwirrend.

Sie lautet: Dieser Ort ist das "Lebendige".

Oder noch treffender, es ist die Rückkehr zu dem Lebendigen. Natürlich ergibt sich daraus mit Notwendigkeit, daß jeder andere Punkt auf der Achse erst einmal das "Nicht-Lebendige" enthält. Wir könnten auch sagen: die Idee.

Es steht sich also jetzt nicht mehr gegenüber das Gute und das Böse, sondern das Gut-Böse auf der einen Seite und das Leben (ewige) auf der anderen Seite.

Daß diese Aufteilung nicht nur eine neumodische Konstruktion sein kann, entnehmen wir schon den ersten Worten der Bibel, denn im Paradies stehen zwei Bäume: der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen (von dem auf keinen Fall gegessen werden darf) und mitten im Paradies der Baum des "Lebens".

Nun haben aber wir Menschen vom Baum der Erkenntnis (des Guten und Bösen) gegessen, sind erkennend (und wertend) geworden, und damit ist der Weg zum Baum des Lebens erst einmal verstellt.

Die Idee dessen, was sein sollte, folgt natürlich vollständig dem Baum der Erkenntnis: denn das, was ich wünsche, ist für mich immer auf dem oberen Ende der Skala angeordnet und das, was ich zu vermeiden gedenke, gehört in den unteren Bereich. Aus dem Thema dieses Baumes leitet sich aber nicht nur die Unterscheidung in zwei moralische Kategorien (gut/böse) her, der Baum konstruiert mit Notwendigkeit auch eine Zeitachse und trägt meine Existenz damit in das Zeit-Kontinuum ein. Es gehört zu den Delikatessen der Weltgeschichte, daß sie periodisch vor unseren menschlichen Augen die guten und die bösen Zeiten ablaufen läßt.

Das Thema der Idee ist: Es sollte verhindert werden, daß... und es sollte hergestellt werden, daß...

Unsere alltäglichen Ideen bestehen erst einmal aus sehr einfachen Wünschen an die Zukunft. So verwundert es denn auch nicht, wenn der Mensch, der einmal vom Baum der Erkenntnis gegessen hat, d.h. der sich der Unterscheidung zwischen links und rechts unserer Skala bedient, damit aus der Zeitlosigkeit des ewigen Jetzt (Paradies) in die beiden Arme der Zeit verstoßen wurde.

Der Mensch hat das Paradies verlassen, jetzt sind "gut" und "böse" im Spiel, jetzt ist "Zeit" im Spiel, jetzt sind "Gedanken", "Vorstellungen", "Ideen" im Spiel. Setzen wir nun unsere beiden Bilder, die Achsen von Gut/Böse und die Achse der Zeit einmal in eins, so erhalten wir folgende Symbolik.

Dies Achsenkreuz stellt den Aufenthaltsort des Menschen dar, der vom Baum des Guten und Bösen gegessen hat. Und jeder Mensch will auf der guten Seite der Skala stehen, das ist das Problem, dessen was sein sollte. Und damit wird der untere Teil der Achse in jedem Fall zu dem, was man therapeutisch den Schatten nennt. Buchstäblich: je höher ich in den guten Teil der Achse hinaufragen möchte, desto größer wird mein Schatten. Je besser ich sein möchte, desto mehr Teile von mir versammeln sich am anderen Ende des Poles. Das ist das Gesetz von "Gut" und "Böse".

Ich bekomme das eine nicht ohne das andere. Und natürlich folgt dieses Gesetz den Bedingungen von "bewußt"/"unbewußt", deshalb ist es so schwer zu durchschauen.

Je mehr edle Dinge ich bewußt zu vollführen beabsichtige, desto mehr unedle Dinge sammeln sich im unbewußten Schattenbereich an. Da ich aber schon so weit oben bin, schon so edel, liegt mir jetzt sehr viel daran, daß die Summe meiner Eigenschaften, die genau so weit nach unten ragt, weder mir noch sonst jemand sich offenbaren darf. Ich werde zum Heuchler. Freilich zu einem derartig geschickten Heuchler, daß keiner (noch nicht einmal ich selber) mir auf die Schliche kommt.

Je mehr ich also auf die guten Äste des Baumes hochschwinge, desto mehr stecke ich in der Falle.

Das ist das Problem mit dem "positiven Denken" und mit einer heute weitverbreiteten Heuchelei, die sich "Subliminals" nennt, das sind Musik-Kassetten mit Sentenzen wie den folgenden: "Nur das Positive zieht in mich ein", oder "es geht mir von Tag zu Tag besser und gute Laune durchstrahlt mich".

Fassen wir zusammen:

das eigentliche Böse ist in unserer Skizze nicht etwa der tiefste Punkt B, sondern jeder Punkt auf dem Umfang des Kreises, der von A (Anbeginn der Zeit), B (vermeintlich der Satan), C (Ende der Zeit) und D (vermeintlich Christus) führt. Der Kreis selbst (symbolisch die Erde) ist der Einflußbereich des "Bösen", denn Satan ist der "Fürst der Welt" ("Fürst des Kosmos"). Natürlich ist Christus deshalb auch nicht am Punkt D vorzufinden, das glauben nur die Menschen, die sich etwas anderes als das personifizierte "Gute" nicht vorstellen können. Es ist wieder einmal eine Idee. Christus selbst sagt: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt". Er ist weder "gut" noch "böse", er ist - wenn das überhaupt vorstellbar ist - in der Mitte des Kreises. Immer im Jetzt, im ewigen Jetzt, jenseits von "gut" und "böse".

Deshalb befindet er sich in der Mitte des Kruzifixes, mit seinem Herzen im Schnittpunkt der Achsen - im "ewigen Leben". Er liegt auf dem Holz des Lebens, weder der Vergangenheit anhängend, noch der Zukunft entgegenfiebernd, er ist im "Neti-Neti" (Weder-Noch) der Tibeter, im "Nirvana" der Buddhisten, im Nichts. Hier im Mittelpunkt steht der Baum des Lebens, hier befindet sich der Feind jeder "Idee" (Polarität), das "ewige Leben".

Genau hier liegt die größte Schwierigkeit des Menschen, die ihn zu unzähligen Inkarnationen verleitet: nämlich ins Jetzt zu gelangen (also das Damals und das Morgen loszulassen) und gleichzeitig auch ins Nichts (ins Jenseits von "gut" und "böse").

Die eine Richtung (ins Jetzt) zeigt uns der Osten mit seinen vielfältigen Meditationspraktiken, die andere Richtung kommt aus dem Westen. Jeder Meditierende kennt die Schwierigkeit, auch nur für Sekunden den Punkt des Jetzt zu erreichen, aber das ist ja nur der eine Teil, der andere Teil kommt aus dem Abendland. Loslassen von den "Ideen", von den "Vorstellungen" des "Du sollst...", von "gut" und "böse". Erst in den Verbindungen beider Welten ergibt sich der Punkt, der Mittelpunkt, den es nicht zu verfehlen gilt. Jesus, der Christus, ist die Verbindung dieser beiden Richtungen und er lebt!

Und deshalb ist er Gleichnis, Symbol, Modell und Heilungsvorgang in einem. Er ist die sichtbar gewordene Heilung von dem "Bösen".

Das Ziel und die Sehnsucht jedes Menschen (polaren Bewußtseins) ist es, sein durch die Zeit bedingtes Un-Heil-Sein zu überwinden und "heil" zu werden.

Jeder Heilsweg ist der Weg aus der Polarität in die Einheit.

Der Schritt aus der Polarität in die Einheit ist eine so radikale qualitative Veränderung, daß sie für das polare Bewußtsein eines Menschen schwer bis gar nicht vorstellbar ist.

Alle metaphysischen Systeme, Philosophien, Religionen und esoterischen Schulen versuchen einzig und allein auf diesem Weg aus der Zweiheit in die Einheit zu finden. Daraus ergibt sich zwingend, daß all diese Lehren nicht an einer "Verbesserung" dieser Welt interessiert sind, sonder am "Verlassen dieser Welt".

Genau dieser Punkt ist der große Ansatzpunkt für alle Kritiker und Gegner dieser Lehren. Sie weisen auf die Ungerechtigkeiten und Nöte dieser Welt hin und werfen vor, wie unsozial und lieblos man diesen Herausforderungen gegenüber wäre, weil man nur an der eigenen, egoistischen Erlösung interessiert sei.

Weltflucht und mangelndes Engagement heißen die Schlagworte der Kritiker. Leider nehmen sich die Kritiker niemals die Zeit, eine Lehre erst einmal ganz zu begreifen, bevor sie sie bekämpfen.

Diese Mißverständnisse reichen weit zurück.

Jesus lehrte allein diesen Weg, der aus der Polarität (Zweiheit) in die Einheit führt - und er wurde nicht einmal von seinen eigenen Jüngern ganz verstanden.

Jesus nannte die Polarität "diese Welt" und die Einheit "Himmelreich" oder "Wohnung meines Vaters". Er betonte, daß sein Reich nicht von dieser Welt sei und lehrte den Weg zum Vater.

Doch alle seine Äußerungen sind damals (und auch heute noch) mißverstanden worden, sie wurden immer konkret und materiell verstanden und nur auf diese Welt bezogen.

Das Johannesevangelium zeigt Kapitel für Kapitel diese Mißverständnisse: Jesus redet vom Tempel, den er in drei Tagen wieder aufbauen will - dabei denken die Jünger an den Tempel Jerusalems, er aber meint seinen Leib. Jesus redet mit Nikodemus von der Wiedergeburt im Geiste, doch dieser denkt an eine Kindsgeburt. Wir kennen von Jesus keine einzige Aufforderung, diese Welt zu verbessern und in ein Paradies umzugestalten - aber in fast jedem Satz versucht er, die Menschen zu ermutigen, den Schritt zu wagen, der zum Heil führt, die "geistige Wiedergeburt". Er lehrte nicht Weltflucht, sondern Welt-überwindung. Weltüberwindung ist aber nur ein anderes Wort für "Überwindung der Polarität".

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